6648923-1958_41_09.jpg
Digital In Arbeit

Die Volkshochschulen in der Schweiz

Werbung
Werbung
Werbung

Dieser Rechenschaftsbericht der schweizerischen Volkshochschulen für das Arbeitsjahr 1956/57 zeigt, nach Sachgebieten geordnet, die in den einzelnen Volkshochschulen des Landes durchgeführten Kurse und Vortragsreihen und gibt damit einen interessanten Ueberblick über die Praxis und Interessen der einzelnen Landesteile. In der deutschen und französischen Schweiz hat die Volkshochschule offenbar intensiv Fuß gefaßt, in den italienischen und rätoromanischen Landschaften tritt sie viel weniger hervor. Die , Tradition als solche reicht in das Jahr 1919 zurück, hat also einen relativ späten Ansatz.

Die Einleitung von Karl Fehr, „Möglichkeiten und Grenzen der Erwachsenenbildung“, unterstreicht den ungeheuren Fortschritt in der Wissensvermittlung seit Pestalozzi, betont aber auch die Kehrseite dieser leichten Zugänglichkeit der Kulturgüter: der Mensch ist ihnen gegenüber apathisch geworden. Groß ist dagegen die Faszination durch Technik, Komfort und Zivilisationsbetrieb und der Drang nach Sicherheit. Doch kann das System raffinierter Abschirmungen die Daseinsangst nicht herabmindern. Dieses innere Vakuum stellt, wie Fehr meint, der Volkshochschule ihre besondere Aufgabe. Diese kann, seiner Ansicht nach, am besten durch eine „Aufwertung des Worte s“ erfüllt werden, dadurch, daß das „konzentrierte Hinhörenkönnen“ wieder entwickelt wird. An erster Stelle steht also für ihn doch der Vortrag, erst dann folgen Dialog, Diskussion und Arbeitsgespräch. Bezüglich der Wirkung der Volkshochschulen „in die breiten Massen“ ist Fehr skeptisch und hält nur die „Weltoffenen“ und „Denkfähigen“ für ansprechbar — eine Selbstbeschränkung in der Aufgabe, die man für manche weltanschaulichen, kulturpolitischen und politischen Fragen doch nur ungern teilen wird. Die Auffassung freilich, daß „die geistige Auseinandersetzung als ein dialektischer Erkenntnisvorgang stets nur zwischen Mensch und Mensch möglich ist“, wird man sich gern zu eigen machen. Die Schweizer Praxis entspricht nicht ganz, wie es ja auch in anderen Ländern zu sein pflegt, den vorgetragenen Maximen; Karl Fehr nennt neben England, Skandinavien und Westdeutschland auch Oesterreich unter den hierin fortgeschritenen Ländern — was uns nur an das erinnert, was zu tun noch übrigbleibt... Ein wichtiger Hinweis in dem Aufsatz fordert, daß die Volkshochschule versuchen muß, „den geblendeten und abgestumpften und übersättigten Menschen ... wieder zum Sehen und Verstehen und zur spontanen Erlebnisfähigkeit zurückzuführen“.

Aus den Kursen darf die Reihe „Individuum und Gemeinschaft“ als besonders aktuell hervorgehoben werden. Das Programm ist sauber gearbeitet und mit knappen, präzisen Legenden „erschlossen“. Ein wesentlicher Unterschied zum Gesamtkonzept anderer mitteleuropäis.her Volkshochschulen findet sich kaum. Vielleicht könnte man dem österreichischen Volkshochschulwesen von heute eine größere soziale und politische Dynamik zusprechen — dies hängt wohl mit dem verschiedenen Schicksal der beiden Länder zusammen. Die Lektüre des Bandes läßt jedenfalls einen intensiveren europäischen Gedankenaustausch auf dem Gebiet der Volksbildung sehr wünschenswert erscheinen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung