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Ein Künstler mit Ellenbogen

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Seine berühmteste Innovation, den Einfall, mit dem Walter Gropius (1883 - 1969) populär wurde, kennt jeder Architekt: Die Zurücknahme der Stützen im Industrie- und Kaufhausbau, welche eine transparente Verglasung der Gebäudeecken ermöglichte, und die er im berühmten Faguswerk erstmals anwandte.

Weniger bekannt ist, daß er ursprünglich ein völlig unbegabter Zeichner war. Während etwa Olbrich bei Otto Wagner allein wegen seiner zeichnerischen Brillanz sofort offene Türen fand, mußte sich der Architekturstudent Gropius einen Zeichner anstellen, denn er war, wie er selber einbekannte, „nicht imstande einen geraden Strich zu ziehen”.

Daß er trotzdem einer der bedeutendsten Architekten des 20. Jahrhunderts und ein erfolgreicher Indu-strial Designer wurde, beweisen einerseits seine trotz des handwerklichen Ungeschicks großen Fähigkeiten, aber auch sein ausgeprägtes

Selbstbewußtsein, seine des öfteren zitierte „herrschaftliche Haltung”, die von denen, die sie zu spüren bekamen, mitunter als souveräner Gebrauch der Ellenbogen erlebt wurde. So von seinem post festum zum Angestellten degradierten Partner Adolf Meyer. Was aber Gropius' Bedeutung nicht schmälert. Denn bei aller Kompromißbereitschaft, ja Anpassungsfähigkeit, haben seine Bauten Identität und wirkten stilbildend. Dabei war er einer jener, die den „amerikanischen Geist” im Sinne der Werkbundidee „veredeln” wollten.

Nun ist Winfried Nerdlingers längst vergriffenes Standardwerk über Gropius wieder zu haben. Nicht so tiefgreifend umgearbeitet, wie es Autor und Leser gewünscht hätten, dafür aber mit Hinweisen auf die wesentlichen Gropius-Publikationen des letzten Jahrzehnts. Dies bedingt selbstverständlich Lücken. Trotzdem enthält das Buch in kompakter Form, durchgehend zweisprachig (deutsch und englisch), eine gewaltige Fülle von Material, unter anderem zur Auseinandersetzung mit Frank Lloyd Wright, der „über den Anspruch einiger Fjmigranten, die moderne Architektur nach Amerika gebracht zu haben”, so wütend war, daß er 1937 Gropius nicht empfing und 1938 den Stil von Corbusier und Gropius als „reine Herrschaft der Maschine über den Menschen” attackierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg litt sein Ruf in den USA vor allem durch den Vorwurf, er habe mit dem Pan Am Building die Park Avenue abgeriegelt.

Das vorbildlich kommentierte Werkverzeichnis ist tatsächlich ein kritisches: Bei Walter Gropius gab es bis in die jüngste Vergangenheit immer wieder erstaunliche Unklarheiten über die Urheberschaft von Entwürfen, die wohl nicht zuletzt auf seine eigene lässige Auskunftspraxis zurückgingen.

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