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Noch immer Stein des Anstoßes

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Seit zehn Jahren ist Josef Beuys tot, von einer Annäherung der Bewunderer und Gegner ist noch nicht viel zu merken. Noch immer tun ihn viele als Blender ab. Wer noch offen ist für Pro und Kontra, findet in einer in jeder Hinsicht repräsentativen „Werkübersicht" des Schirmer/Mosel-Verlages hinreichend Material für den Versuch, das Phänomen Beuys wenigstens zu verstehen, wenn es ihm schon nicht gelingt, dessen Kunst zu schätzen.

Die öffentliche Meinung zu polarisieren, das ist vielen Künstlern des 20. Jahrhunderts gelungen. Joseph Beuys aber hat sie in drei, wenn nicht vier Lager gespalten. Nicht nur Akzeptanz und Ablehnung seiner Kunst klafften kraß auseinander. Es gab auch unter denen, die sich in der Bewunderung seines „Fettstuhles" oder „Hasengrabes" einig waren, genug Uneinigkeit über seinen Mystizismus. Die einen nahmen es einfach als Happening, als Provokation um der Provokation willen, wenn er toten Hasen vorlas - die anderen sahen ihn dabei gleich im tiefsten Kontakt mit dem Kosmos. Andererseits hat ihm möglicherweise sein Mystizismus auch eine gewisse Anerkennung bei Leuten verschafft, die mit seiner Kunst überhaupt nichts am Hut hatten.

Dieser Hut war übrigens nicht nur Marotte, sondern er trug unterm Hut eine Silberplatte als Ersatz für einen Teil seines Schädels. Er wurde als deutscher Jagdflieger über Rußland abgeschossen und von Mongolen bis zur Transportfähigkeit in einem Zelt versteckt und gepflegt. Seine Mystik, in der Fett bekanntlich eine wichtige Rolle spielte, datierte von daher. Dieses existentielle Schlüsselerlebnis entzieht der Deutung des Phänomens Beuys als bewußte Blenderei zumindest einen großen Teil ihres Bodens.

Vieles ist befremdlich bei Beuys, vieles faszinierend, vieles stößt ab - die Abstoßung ist gewollt. Provokation gehörte zu seiner Methode, anderen zu existentiellen Erlebnissen zu verhelfen.

Der Text von Alain Borer macht nicht einfach, interpretierend, verständlich, bietet nicht nur Information an (nicht zuletzt über das bedingungslose Eintreten Beuys' für künstlerische Freiheit), sondern regt vor allem dazu an, sich auch mit demDen-ken des Künstlers, seinen Hoffnungen und utopischen Vorstellungen zu befassen, und sich für den „reinen Künstler" oder den Mystiker Beuys (oder aber beide, was am produktivsten ist) zu entscheiden.

Man muß ihn nicht lieben. Oberflächliche Ablehnung disqualifiziert in diesem Fall aber ganz besonders.

JOSEPH BEUYS - EINE WERKÜBERSICHT Herausgeben Lothar Schirmer Mit einem Text von Alain Borer Verlag SchirmerjMosel, München 1996 240 Seiten, 160 Abbildungen, davon 152 Tafein, Ln., öS9)4,-

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