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Mit Beuys in New York

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Ich sehe vor mir: eine rötliche Kupferplatte, ca. 3 x 1,60 m groß, fingerdick. Sie liegt auf dem Steinboden in einem Museumsgang. Der Museumsgang ist abwärts geneigt. An die Platte schließen Filzstücke an, sie sind übereinander und aufeinander gelegt. Fußspuren auf der Platte, Fußspuren auch auf dem Filz, der mit Wachs überstrichen ist. Die Farbe des Kupfers ist mattrot, blasse grünliche Oxydationslinien laufen darüber. Ein Werk von Joseph Beuys, den viele für den größten deutschen Künstler der Gegenwart halten.

Heiner Bastian, Franz Dahlem, Roger, ein Angestellter des New Yorker Guggenheim-Museums, Beuys und ich haben vier Stunden gebraucht, um dieses Objekt, das aus dem Hessischen Landesmuseum Darmstadt kommt, aufzubauen. Wir sprachen über englische Kunst des 19. Jahrhunderts. „Art business is a very dirty business“, sagte Roger, „aber ab jetzt mache ich meine eigene Kunst.“

Ich sehe Beuys, an der Rampe lehnend, eine Zigarette in der hohlen Hand versteckend, wegen des Rauchverbots, und leise lachend. Dahlem sagt: „Ja richtig, aber das ist eben mein Beruf.“

Dazu die Pausen: Beuys schneidet mit einem geschwungenen Klappmesser ganz konzentriert und penibel die Filzstücke aus, kocht Wachs auf einem alten Elektrokocher, der Geruch von Bienenwachs zieht sich durch die Kühle - friedliche Konzentration im Raum. Zum Schluß verstreicht und verspachtelt Beuye das Wachs, stapft mit seinen dicken Schuhe wie in einem Tanz über die Wachsfläche.

(Nachher sucht Beuys fast verzweifelt nach Wasser, um sich die Hände zu waschen, es ist nur Azeton da.)

Am nächsten Tag: Menschentrauben, Menschenschlangen, ein Farbiger, sehr groß, bewacht dasselbe Objekt, damit niemand darauf herumgeht. Der Kuppelraum des Guggenheim-Museums (ein heller Schnek- kenraum, ein freundliches Mausoleum, wo das Licht aus dem Kuppelfenster kommt und eine Rampe von oben nach unten führt) tönt bei der Vernissage wie von einem Hornissenschwarm erfüllt.

Beuys bewegt sich fort: in einem schwarzen Fleetwood-Straßenkreuzer, er sitzt hinten, die Füße weggestreckt, Hut wie immer, Hände abgearbeitet erschöpft neben dem Leib.

Die Zeitungen sind voll von Beuys, alle Partys reden von Beuys, Beuys ist aufgenommen. „Art for my heart“, sagt ein Tänzer, ich kann in seinen Objekten leben. Schamane, Clown, Gangster, Mystiker, Rationalist - Genie? Zugleich ein Besuch aus der Ursprungswelt für die Amerikaner, von dem Kontinent, der noch aus einer fernen Vergangenheit her Unvorhergesehenes ausbrütet.

Beuys zwingt jeden Betrachter, Emotionen zu entwickeln. Diese Emotion kann Verständnishilfen in Anspruch nehmen wie die folgende von Axel Hinrich Murken:

„Charakteristisch für diesen bedeutsamen Themenkreis des Beuys- schen Werkes, der die rituelle Gestik von Medizinmännern aufnimmt, ist die Bevorzugung von bestimmten gestaltlosen organischen Substraten, die sich noch in einem teigigen, flüssigen oder zumindest plastisch leicht formbaren oder veränderbaren Aggregatzustand befinden: Honig, Wachs und Fett oder Gold-, Schwefel-, Kupfer- und Jodpartikel, Dazu gehört gleichfalls die Verwendung von Filz, der mitunter auch aus Ha-

senhaaren hergestellt werden kann. Hier fand der Künstler noch einen relativ urtümlich plastischen Stoff, der für ihn selbst das chaotische Prinzip darstellt.

Außerdem handelt es sich um ein Material, das er sowohl für Wärme (= Leben)alsauchfürlsolation(= Kälte = Tod) nutzbar machen konnte. Es ist in dieser Hinsicht in der Kulturgeschichte symbolisch noch unverbraucht und bietet damit, wie schon angedeutet, die Möglichkeit, neue Dimensionen des Kunst- und damit des Menschenbegriffes zu erschließen.“

Interpretationen schützen freilich auch vor allzu großer Nähe.

Wer in die Nähe eines Werks von Beuys kommt, gerät in einen Tabubereich: Kraftfeld um einen Fetisch, der bis zur Wurzel der Menschheit reicht. Zur sinnlichen Erfahrung muß die Reflexion kommen, dann entsteht aus der alltäglichen Unordnung der Gedanken und der Gefühle eine neue Synthese.

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