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Sekretär des Übergangs

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Ohne einen Widerspruch, eine einzige Einwendung ist der 64jährige Luigi Longo durch einstimmige Akklamation zum neuen Sekretär der KP Italiens gewählt worden. Palmiro Togliatti lag erst seit ein paar Stunden im Grabe und auf dem

Platz,’ den er bei Sitzungen in der kommunistischen Zentrale in der Via delleBettegheOscure (die „Straße der dunklen Geschäfte“) in Rom einzu- nehmen pflegte, lag ein großer Blumenstrauß. Longo hatte diesen symbolhaften Gefühlsausdruck in Erinnerung des verehrten Meisters veranlaßt, doch mochte er ihm in diesen Augenblick noch mehr bedeutet haben: die fortdauernde geistige Anwesenheit Togliattis und das Fortwirken seines spirituellen Erbes bildhaft werden zu lassen. Für den Nachfolger sind sie ei’ne Garanti dafür, daß. ihm die drängende jüngere Generation bei der Parteiführung die Zügel nicht aus der Hand nehmen wird.

Ein treuer Gefolgsmann

Zwanzig Jahre lang Vizesekretär und als Stellvertreter des KP-Füh- rers unumstritten, verdankt Longo seine nie in Frage gestellte Position und die linear verlaufende Karriere der unwandelbaren Gefolgstreue zu Togliätti, dessen subtiler Intelligenz,, Anpassungsfähigkeit, politischem Schöpfergeist er es ruhig überlasten durfte, mit den tiefgreifenden Veränderungen im internationalen Kommunismus fertig zu werden. Der andere „Vize“ an der Seite Togliattis, Pietro Secchia, hat sich nicht damit bescheiden wollen, den Panzer des Togliattismus anzulegen, der ihn, wie Longo, gegen alle Angriffe gefeit hätte, wollte die Befehle aus Moskau direkt empfangen und ist daher seit vielen Jahren nach Mailand relegiert, schon bevor ihm die Entstaliniserung ein natürliches politisches Ende bereitet hätte.

Longo hingegen hat den Togliattismus in der vollkommensten Weise assimiliert und kann als der rechte Interpret, Erbe und Vikar des „Meisters“ gelten (sein Lieblingsausdruck, wenn er von Togliatti spricht). Die Anhänger des verstor benen Parteisekretärs sind immer noch in der überwiegenden Mehr- : zahl, und so lange sie es sind, kann Longo hoffen, sich ijn Sattel zu halten. Gleichzeitig’ legt er sich jedoch vollkommen Rechenschaft’ darüber ab, daß er in keiner Weise die geistige Statur, Persönlichkeit und Autorität seines Vorgängers besitzt und die Entscheidungen, dem Parteistatut zum Trotz, nicht wie jener an sich ziehen wird. In seiner Antrittsrede nach der Wahl ist daher viel von" „kollegialen Entscheidungen“,. „gemeinsamer Verantwortung" und dem. „solidarischen Beitrag aller“ die Rede.

Als einziger und letzter ans der alten Garde dės italienischen Kommunismus, jene, die 1921 bei der Spaltung im Sozialistenkbngveß mitgewirkt hat, ist Luigi Longo nicht nur , im vollen Besitz seiner Machtposition geblieben, während die anderen Überlebenden, Terracini, Scoccimarro, sich mit mehr oder weniger dekorativen Posten begnügen müssen. Longo fällt jetzt ein riesiges Erbe zu:

• eineinhalb Millionen eingeschriebene Parteimitglieder,

• acht Millionen Wähler,

• eine Finanzgebarung von mehreren Milliarden Lire jährlich sind zu erhalten und zu verwalten. So lange sich die Dinge in den von Togliatti gezogenen Geleisen bewegen können, wird sich Longo ohne weiteres zurechtfinden. Aber die politischen Kommentatoren sprechen ihm den schöpferischen Schwung ab. Was geschieht, wenn unvorhergesehene, neue Aufgaben an ihn herantreten?

Tonfall seiner- piemontesischen Heimat beibehalten, den Togliatti abzulegen vermocht hat. Vor dem Fernsehschirm wirkt der neue Parteisekretär befangen, er wird sich daran gewöhnen müssen, vor einem großen Publikum zu sprechen, was er nicht gerne getan hat. Die rednerischen Interventionen Longos im Parlament sind an den Fingern abzuzählen.

Obwohl Longo als Beruf „Journalist“ angibt — als solcher steht er im Parlamentarischen Jahrbuch verzeichnet —, nimmt ihn niemand als Journalist ernst. Seine Prosa ist steif und holperig, die Syntax manchmal mangelhaft. Es kursiert - eine Anekdote, wonach der Gründer des italienischen Kommunismus, Antonio Gramsci, auf das Verlangen Togliattis, seinen Schützling Longo zum Chefredakteur der Parteizeitung „L’Avanguardia“ /u machen, geantwortet habe: „Um eine Zeitung zu redigieren, muß man zumindest lesen und schreiben können.“ Aber auch wenn diese Anekdote eine böswillige Erfindung der gegnerischen Presse sein sollte, bleibt die Tatsache, daß Luigi Longos Bildungsgrad, verglichen mit dem Togliattis, minimal ist. Der zweifache Doktor Palmiro hat seine Bildung such gern mit einer gewissen Koketterie herausgestellt und mit Literaturkenntnissen verblüfft, die man bei einem Kommunistenführer nicht voraussetzt und schon gar nicht verlangen kann.

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