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Erinnerungen an „II Gallo“

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Obwohl Longo nichts Derartiges aufzuweisen hat — er ist über die ersten Jahre des technischen Studiums am Turiner Polytechnikum nicht hinausgekommen und daher auch die Nachfolge Togliattis als Chefredakteur der anspruchsvollen Intellektuellen-Zeitschrift „Rina- scitä“ ein Problem darstellt, das bisher noch nicht gelöst ist, tut ihm das bei den Massen keinen Abbruch. Dort sieht man Longo vorzugsweise als wunden-, rühm- und medaillenbedeckten Militär an, der von der Pike auf gedient hat. Die genauere Untersuchung der militärischen Vergangenheit ergibt die Übertrie benheit seines Ansehens in dieser Richtung. Als politischer Kommissar der JI. Internationalen Brigade, und Ende 1936 Geoeralinspektor der Brigaden hatte er zuerst nur politische Aufgaben und ragte später, bei Guadalajara und in der Verteidigung von Madrid im Spanischen Bürgerkrieg nicht durch sein militärisches Genie , hervor. Den Decknamen „Gallo“ (Hahn) soll ihm Togliatti scherzhaft beigelegt haben, wegen semes, freizügigen Umgangs mit den, spanischen Mädchen. Der militärische Ruf Longos hat sich dann im italienischen Widerstand 1943—45’ Verdichtet, wo er V’ize- kommandant des Freiwilligen Be- freiungskoi ps, Generalkommandant der kommunistischen Brigaden und Vertreter der KP im Befreiungskomitee v für Oberitalien war. Die raschisten können ihm nicht verleihen, daß der Befehl zur Exeku- ;ion Mussolinis seine Unterschrift ;rägt, obwohl ihm Mussolini angęb- ich das Leben gerettet hat, indem ;r, als Longo in Frankreich in die rlände der Deutschen fiel, seine Auslieferung verlangte und ihn auf lie Insel Ventotene schickte. Da ihm juf Grund von mehreren Bittschriften an den „Duce“ größere Bewegungsfreiheit gewährt wurde, gelang es ihm leicht, zu entkommen.

Gieheime Sehnsucht nach dem Stalinismus?

Wenn Luigi Longo dem Aussehen nach leicht als General i. R. gelten könnte, ist der andere Ruf, der ihm anhaftet, nämlich ein „duro“, ein ,Harter“, zu sein, kaum erklärlich. Longo war Stalinist, so länge rogliatti es war, und hörte auf es su sein, als Togliatti in Chruschtschows Linie einschwenkte, er war Anhänger des Persönlichkeitskults und dessen Gegner, im vollkommenen Synchronismus mit rogliatti. Darüber liegt eine reichhaltige Dokumentation vor: die Verbalinjurien und die beißenden Karikaturen in der von Longo geleiteten Zeitschrift -„Vie Nuove“ gegen Tito, ein „Titler“, zur Zeit, von dessen Verurteilung, Stalins Vergöttlichung in einem Artikel in „Rinascita“ 1953:

„Sein Titanenwerk, sein Genius, sein Leben haben durch über drei

Jahrzehnte die Welt in Erstaunen versetzt und seiner Person die unendliche Liebe der Völker verschafft..." Man hat feststellen können, daß weitgehende Analogien zwischen dem damaligen Nekrolog für Stalin und, im Wort und Ausdruck, zwischen der Rede an der Bahre Togliattis vor wenigen Wochen bestehen.

Jedoch ist es unmöglich, in Longos Reden und Artikeln anderes zu finden als Togliatti gesprochen und geschrieben hat. Bezeichnend ist vielleicht eine Ansprache vom Oktober 1962 auf dem Kongreß der kommunistischen Jugend verbände: „In Italien gibt es heute keine Situation akuter revolutionärer Krise mit der Aussicht auf einen bewaffneten Aufstand zur Eroberung der Macht“, sagte er zu den Anhängern der Linksströmung gewendet, um dann sofort nach der rechten Seite hin fortzufahren: „Unser

Kampf wird im Innern des demokratischen Staates geführt, nicht um in dessen Hülle zu bleiben sondern um sie, von den sich ergebenden Möglichkeiten Gebrauch machend, abzuwerfen.“ „Ob der Weg des Aufstandes oder der friedlichen Durchdringung gewählt wird, hängt nicht allein von unserem Willen ab, sondern ist die Folge der objektiven Prüfung der Lage.“

Togliattis letztes Memorandum

Luigi Longo hat jetzt, als erste bemerkenswerte Handlung in der Eigenschaft des neuen Parteisekretärs, den vollen Text des von Palmiro Togliatti auf der Krim kurz vor dem . Schlaganfall verfaßten Memorandums für die KPdSSR veröffentlichen lassen. Nicht als „Zeugnis der klaren Sicht“ seines Vorgängers, wie Longo schreibt, sondern um gegenüber Moskau wie gegenüber den eigenen Pärteiexponen- ten die Unverrückbarkeit der Linie Togliattis zu betonen. Er nimmt in Kauf, daß manches, was der Verstorbene zu dem ideologischen Konflikt Moskau—Peking, zur gefährdeten Einheit im internationalen Kommunismus, zu den zentrifugalen Kräften in den sozialistischen Ländern zu sagen hatte, von der anti- kommunistischen Propaganda aus- ‘ genutzt werden kann. In dem’Text ist ein offener Widerspruch gegen Chruschtschow enthalten, aber Luigi Longo fühlt sich in der Rüstung des Togliattismus sicher genug.

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