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Rotes Konzil mit Hindernissen

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Noch bescheidener, als ohnehin zu erwarten war, ist die Frucht ausgefallen, die aus den Moskauer Jubiläumsgesprächen der kommunistischen Parteien — mit dreiwöchiger Verspätung — nun hervorgegangen ist: 18 von ihnen haben am 24. November die Bruderparteien aller Welt für den Februar 1968 nach Budapest eingeladen — nicht etwa zur vielberedeten großen Weltkonferenz, ja nicht einmal zu deren unmittelbarer Vorbereitung, sondern zu einer noch unverbindlicheren Begegnung: einem „Konsultativtref-fen zum kollektiven Meinungsaustausch über die Einberufung einer internationalen Beratung“.

Es sind jene 18 Parteien, die schon vor zweieinhalb Jahren, im März 1965, ein erfolgloses „Vorbereitungstreffen“ in Moskau veranstaltet hatten; damals beteilliiigte sich noch eine 19. Partei, die kubanische, die nun dem Unternehmen überhaupt den Rücken kehrt — wie Chinesen, Albaner, Rumänen und Jugoslawen. Und Fidel Castros Haltung ist nur Symptom für das, was der italienische KP-Ohef Luigi Longo unverblümt „ideologische Verwirrung“ genannt hat.

. Es gibt keine Klarheit mehr unter den Kommunisten in einer Welt, die viel zu vielfältig geworden ist, um sich ins Prokrustesbett marxistischer Dogmen pressen zu lassen. Auch ein großes Konzil kann daran nichts ändern; nicht einmal seine eifrigsten Propagandisten hoffen das noch. Schon deshalb furmulierten sie den Zweck des Budapester Treffens so begrenzt; wie möglich, und die Skeptiker sicherten sich auch sogleich gegen Weiterungen ab, zum Beispiel der österreichische KP-Chef Muhri, der gleich am 25. November die Budapester Gesprächsthemen auf die „Zweckmäßigkeit, den Inhalt, die Art und Weise der Vorbereitung und Durchführung einer Weltkonferenz“ einschränkte, auf reine Prozedurfragen also.

Natürlich ist diese Taktik darauf aus, möglichst viele Parteien, auch die zögernden, lustlosen und ablehnenden, in die Budapester Gesprächsrunde zu locken, sozusagen unter der Devise: „Man kann doch ruhig einmal darüber reden.“ Aber zugleich ist bei all dem die weitsichtige Strategie einer Partei am Werk, die in den letzten Wochen das ursprünglich sowjetische Projekt einer Weltkonferenz (das sie selbst lange Zeit eher ablehnte) immer mehr an sich zieht und zum Vehikel eigener Vorstellungen macht: Die italienische KP, die größte des Westens, ist zugleich die einzige der Welt, die es gewagt hat, öffentlich genaue, ins Einzelne gehende Vorschläge zu einer solchen Weltkonferenz zu entwickeln — und zwar sol-

che, die den von Moskau beabsichtigten Zweck der Begegnung ziemlich aushöhlen. Schon vor den Moskauer Jubiläumsfeiern hatte Luigi Longo in zwei Aufsätzen („Rinas-cita“ vom 27. und 29. Oktober) damit begonnen. Während seines Aufenthaltes in Moskau erschien am 3. November der dritte Aufsatz mit der Warnung, daß eine Konferenz, die alle Fragen auf einmal lösen wollte, „nur leere und allgemeine Deklamationen und vielleicht noch eine größere Verwirrung“ erzeugen würde. Um den Parteien die Furcht vor Bevormundung zu nehmen, schlug Longo ein neues Verfahren vor: „Man darf nicht wie bisher beginnen mit der vorherigen Ausarbeitung eines Grunddokumentes, zu dessen Diskussion man dann die einzelnen Parteien einlädt, sondern man muß im Gegenteil anfangen mit der Ausarbeitung und Darlegung der Positionen jeder einzelnen Partei zu den diskutierten Problemen, um dann erst, aus der Konfrontation und Debatte am Konferenzort, Hinweise für eventuell mögliche gemeinsame Folgerungen zu gewinnen“, schreibt Longo.

Die Zeiten, da sich die kommunistischen Parteien ihre Politik gleichsam „vorkauen“ ließen und ihre Verdauungsbeschwerden artig verbargen, sind vorüber. Deshalb konnte sich Longo offenbar mit seinem Vorschlag bei den Moskauer Tischgesprächen durchsetzen und. damit auch den Stil, der die Budapester Vorberatung prägen soll, bestimmen. Kaum aus Moskau zurückgekehrt, ließ sich Longo am 10. November in der „Rinasoita“ noch kühner vernehmen:

„Wir können nicht davon absehen, daß die engsten Formen von Einheit, die früher wirksam waren, in eine' Krise gekommen sind, und nicht mehr imstande sind, den verschiedenen und komplexeren Bedürfnissen unserer Bewegung zu entsprechen.“ Neue, offenere Formen müßten gefunden werden: „Der demokratische Zentralismus, der für die Leitung und Organisation innerhalb einzelner Parteien galt, kann nicht ihre' initernationialen Beziehungen regulieren, ohne ihre autonome Entscheidungsverantwortlichkeit zu beschneiden.“ Wem diese Warnung gilt, machte Longo deutlich, als er an die fast vergessene sowjetische Erklärung vom 30. Oktober 1956 erinnerte, die damals — angesichts des ungarischen Aufstandes — den Besonderheiten der einzelnen sozialistischen Länder „voll Rechnung zu tragen“ versprach.

Ob sich unter solchen Voraussetzunigen die Lust der sowjetischen Führung am großen Weltkonzil nicht verflüchtigen wird? Zumal Luigi Longo jetzt öffentlich — und sicher nicht ohne Wirkung auf andere — verkündet hat, was er in Moskau im trauten Kreis der Genossen schon verfocht: „Wir nehmen an einer internationalen Konferenz teil, weil wir beabsichtigen, Gesprächspartner und Hauptpersonen dieser Konferenz zu sein...“ Darnach läßt sich schon ausredinen, was beim Budapester Pebruartreffen bestenfalls herauskommen kann. Sollten sich, durch Longos Konzept angeregt, auch die Rumänen und Jugoslawen zur Beteiligung 'entschließen, wird Breschnews Hoffnung auf „Aktionseinheit“ noch mehr verwässert werden.

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