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Sand im Räderwerk

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Rom, im Oktober 1956 Der italienische Kommunistenführer Palmiro Togliatti, von den Anhängern der „harten“ Richtung Longo und Secchia zu unrecht angeklagt, mit seiner elastischen Taktik die Partei in die vollkommene Isolierung zu führen, wird sich am-8. Dezember dem Kongreß mit dem neuen „Konsultierungspakt“ zwischen Kommunisten und Linkssozialisten in der Tasche stellen können. Niemand hätte erwartet, daß Togliatti dem Prozeß der sozialistischen Einigung unter Ausschluß der Kommunisten — denn dies war die Bedingung der Sozialdemokratie — untätig zusehen würde. Trotzdem müssen heute selbst seine politischen Gegner mit Bewunderung und Abscheu zugeben, daß er sein Ziel, Sand ins Räderwerk der Einigung zu schieben, mit Eleganz erreicht hat. Die Maschine, von Saragat,; Nenni und dem guten Onkel von der Sozialistischen Internationale, Pierre Cömmin,“ mühsam in Gang gebracht, steht still.

Pietro Nenni und Saragat könnte der Vorwurf gemacht werden, die Einigung mit einer sentimentalen Improvisation eingeleitet zu haben, ohne zuvor die konkreten Grundlagen sondiert, die zu erwartenden Widerstände geprüft, die Möglichkeiten der Gegner abgeschätzt zu haben. Die Umarmung von Pralognah erscheint heute oleographisch und ein klein wenig lächerlich. Der größere Teil der Schuld fällt jedoch auf Nenni. Er hätte wissen müssen, daß er in der Parteidirektion wie im Zentralkomitee praktisch in der Minderheit ist; daß in der Direktion die jungen Funktionäre wie die alten Exponenten, die Pertini, Tolloy, Vecchietti, mit tausend Fäden der Ideologie und des Interesses an die kommunistische Partei gebunden sind und jede Aktion zur Wiedergewinnung der Autonomie bremsen würden. Vielleicht dachte Nenni, die Entscheidung bis zum Parteikongreß im Jänner hinausschieben zu können und sich dann gegen den philokommunistischen „Apparat“ unter den Schutz der „Basis“ stellen zu können. Aber Togliatti und der Apparat haben nicht abgewartet; sie haben Nenni vor die Entscheidung gestellt, selbst um den Preis einer Krise in der Sozialistischen Partei.

Am 5. Oktober ist Nenni zur Unterzeichnung des neuen Abkommens gezwungen worden, das die Beziehungen zwischen Kommunisten und Sozialisten auf die Grundlage einer einheitlichen Politik in „neuen Formen“ stellen sollte. Die Direktion der Sozialistenpartei sollte das Dokument einige Tage später unterzeichnen, aber mit Schrecken und Mißvergnügen merkten die kommunistenfreundlichen Mitglieder, daß Bemühungen im Gange waren, dem Pakt eine rein formale Auslegung, ohne reale Bedeutung, zu geben. Sie drangen daher auf eine sofortige Einberufung der Direktion, und der endgültige Text ließ keine weitere Täuschung darüber zu, daß die Zusammenarbeit zwischen Sozialisten und Kommunisten viel enger sein wird, als.man vermutet hatte. „Die Beziehungen zwischen den beiden Parteien, so wie sie sich in der Praxis der letzten Jahre entwickelt haben, deuten den Boden an, auf dem sich der gemeinsame Kampf abspielen soll... Auf ihm ist es, so sich die einheitliche Politik der Arbeiterschaft entfalten soll... Daher wird beschlossen, die Entwicklung der Beziehungen durch Konsultierungen im Zentrum und an der PeripHerle der Organisation sicherzustellen, gemeinsam Probleme von grundlegendem Interesse für die Arbeiterklasse zu prüfen und gemeinsam zu arbeiten.“

Der neue Pakt bedeutet gegenüber dem vom Jahre 1946, wo geradezu die Einrichtung ständiger Ausschüsse für die gemeinsame Aktion beschlossen worden war, größere Bewegungsfreiheit für die Sozialisten. Aber in diesem Augenblick, wo es darauf ankam, sich von jedem Verdacht der Abhängigkeit von den Kommunisten zu reinigen, wenn die Wiederherstellung der sozialistischen Einheit tatsächlich erstrebt werden sollte, hatte es weniger Bedeutung, welcher Pakt mit den Kommunisten abgeschlossen wurde, als daß er es überhaupt wurde.

Die Reaktion bei den Sozialdemokraten war demnach auch heftig genug. Auf ihre Vorwürfe hin mußte Nenni zugeben, es sei vorzuziehen gewesen, beim Status quo zu bleiben, das Problem des Verhältnisses zu den Kommunisten überhaupt nicht anzutasten, als mit ihnen einen neuen politischen Vertrag zu unterzeichnen. Wie die Dinge heute liegen, zeichnet sich ein Abbruch der Gespräche für die Einigung ab, zumindest wird die Sozialdemokratie den Sozialisten ihr Ultimatum stellen wollen.

Nenni hat sich verbittert und grollend in seine Villa in Formia zurückgezogen. Vielleicht sucht er in der südlichen Herbstsonne jene Energie, die er dem Führerstab seiner Partei gegenüber fehlen ließ und deren er in den kommenden Tagen und Wochen so'dringend bedürfen wird, wenn sich die Schlappe nicht in eine endgültige Niederlage verwandeln soll. Seine Position ist bedroht genug: auf der Linken den Angriffen Pertinis und Togliattis ausgesetzt, riskiert er nun auch auf der Rechten, durch den Verlust der Unterstützung seitens der Sozialdemokraten entblößt zu sein. Nenni hat eine zu lange und zu bewegte politische Karriere hinter sich, um das Spiel entmutigt aufzugeben. Das letzte Wort wird der Parteikongreß zu sprechen haben, der ein wahres Schlachtfeld zu werden verspricht. Der Ausgang ist jedoch auch hier durchaus ungewiß. Denn während die kommunistenfreundliche Richtung die „Basis“ seit Jahren ungestört und offen propagandistisch durchdringen durfte, hat es die autonomistische bisher immer versäumt, die Massen zu orientieren und in ihrem Sinne zu beeinflussen. Sollte Nenni den Kampf nicht durchstehen, können nicht nur die Hoffnungen auf eine Einigung des Sozialismus in Italien sine die begraben werden; die Sozialismen selbst werden in eine neue Krise gestürzt, mehr noch die Partei Nennis (nennen wir sie so, auch wenn sie längst nicht mehr die Nennis ist) als die Saragats.

Die Vorgänge im sozialistischen Lager haben in der italienischen Innenpolitik eine Kettenreaktion ausgelöst. Unter den christlichen Demokraten verhehlt man nicht eine gewisse Genugtuung und das Parteiorgan „II Popolo“ drückt den Grund freimütig aus: „Es wurde gesagt, die christliche Demokratie werde auf dem bevorstehenden Kongreß in Trient ihr Urteil über die sozialistische Einigung auszusprechen haben und könne nicht in vorsichtig abwartender Haltung verbleiben. Nun, die Kommunisten und Linkssozialisten haben sich beeilt, die Positionen für alle zu klären.“ Dem Parteisekretär Fanfani wird tatsächlich die Verlegenheit erspart bleiben, jene Entscheidung treffen zu müssen, die seine Konkurrenten innerhalb der eigenen Partei von ihm fordern wollten. Die Antwort wird ihm leichter fallen.

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