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Zweimal Alkmene

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Ist es nur „Besserwisserei“ (wie sie Peter Hacks, dem über einem durch agressiven Sarkasmus desillusionierenden Witz verfügenden Brecht-Epigonen und Wanderer von West nach Ost, einmal von einem kommunistischen Starkritiker vorgehalten wurde) —, wenn er in seinem Amphitryon die Vorzüge von vier „unübertrefflichen“ Fassungen des sonderbaren Götterspuks in einem Stück vereinigen wollte? Nach seiner Meinung habe Plautus den kraftvollsten „Amphitryon“ geschrieben, Möllere den geschicktesten, der Engländer John Dryden den frechsten und sinnlichsten und Kleist den tiefsten. Wie bei Kleist ist auch bei Hacks Alkmene die Hauptfigur. Ihr Gestaltwandel von einem zum andern offenbart deren verschiedene Begriffe von Wirklichkeit. Kleist absolut genommene Wirklichkeit, die sich ins „Irrationale“ öffnet, tritt notwendig in Gegensatz zu einem Wirklichkeitsbegriff, der, wie bei Hacks, jedes Ding in seiner gesellschaftlichen Gebundenheit zu sehen gewohnt ist. Unbedingte Wirklichkeit gegenüber einem Realismus, der sich mit einer veränderten, reduzierten Wirklichkeit zufrieden gibt. Kleists aufgebrochene, aber gerade im Strömen aufgefangene und geformte Welt in ihrer ungeschmälerten Fülle und Herrlichkeit ihres ewigen Widerspruchs im Gegensatz zu Hacks Welt, die er als veränderbar und deren Widersprüche er als überwindbar darstellt.

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Ist es nur „Besserwisserei“ (wie sie Peter Hacks, dem über einem durch agressiven Sarkasmus desillusionierenden Witz verfügenden Brecht-Epigonen und Wanderer von West nach Ost, einmal von einem kommunistischen Starkritiker vorgehalten wurde) —, wenn er in seinem Amphitryon die Vorzüge von vier „unübertrefflichen“ Fassungen des sonderbaren Götterspuks in einem Stück vereinigen wollte? Nach seiner Meinung habe Plautus den kraftvollsten „Amphitryon“ geschrieben, Möllere den geschicktesten, der Engländer John Dryden den frechsten und sinnlichsten und Kleist den tiefsten. Wie bei Kleist ist auch bei Hacks Alkmene die Hauptfigur. Ihr Gestaltwandel von einem zum andern offenbart deren verschiedene Begriffe von Wirklichkeit. Kleist absolut genommene Wirklichkeit, die sich ins „Irrationale“ öffnet, tritt notwendig in Gegensatz zu einem Wirklichkeitsbegriff, der, wie bei Hacks, jedes Ding in seiner gesellschaftlichen Gebundenheit zu sehen gewohnt ist. Unbedingte Wirklichkeit gegenüber einem Realismus, der sich mit einer veränderten, reduzierten Wirklichkeit zufrieden gibt. Kleists aufgebrochene, aber gerade im Strömen aufgefangene und geformte Welt in ihrer ungeschmälerten Fülle und Herrlichkeit ihres ewigen Widerspruchs im Gegensatz zu Hacks Welt, die er als veränderbar und deren Widersprüche er als überwindbar darstellt.

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Kleists Alkmene ist die Personifikation der Liebe. Kleist meint die Liebe der Frau, deren Gefühlskraft so sicher und unverwirrbar ist, daß sie selbst die äußerlich zweideutige Situation überwindet. Alkmene hat etwas Bezauberndes und zugleich Rührendes; sie bleitat auch in allen uribegriffenen Irrungen und Wirrungen sie selbst, weiblich, hingebend, verführerisch — durch Treue. Es ist die Treue aus der Fülle der Weiblichkeit, ein Mysterium, dessen Geheimnis zwischen Schauer und Zauber schwebt, der selbst den Gott als Besiegten in die Knie zwingt. Ihr Lebensorgan in dieser Welt ist das „innerste Gefühl“. Hier ist „die Goldwaage der Empfindung“; hier werden die vielfältigsten Schichten des Menschlichen durchdrungen, der ins Göttliche zielenden, im Irdischen sich verwirklichenden Liebe, von denen keiner der früheren Bearbeiter etwas hat ahnen lassen. Alkmenes Leben, ihr ganzes Sein ist ausgefüllt von der Liebe zu Amphitryon. Im Gegensatz zu einer eher leichtfertigen und übermütigen Ehekomödie, etwa bei Moliere, läßt Kleist die Liebenden sich immer wieder mit „Braut“ und „Geliebter“ anreden, vom Verlobtsein statt vom Verheiratetsein sprechen. Seine Alkmene ist eine erst erwachende Frau, eine Liebende, in der der Glaube an die Vollkommenheit des Geliebten noch unangetastet lebt, sich noch nicht verwandelt hat in die Realität des männlichen Seins. Aus dieser Gläubigkeit entscheidet sie sich, vor die Wahl gestellt, für den vortrefflicheren, den strahlenderen, den wahren Amphitryon. Das ist weder der in der Gestalt des Amphitryon erschienene Jupiter noch der Feldherr-Gemahl, sondern dessen ins Göttliche geläuterte Gestalt: Jupiter-Amphitryon. Ihr mütterlich-weiblicher Instinkt vermöchte beide zu vereinen. Am Ende aber scheiden sich die Gestalten. Alkmenes vielum-rätseltes „Ach!“, mit dem das Stück schließt, gilt der Trennung des vereinigt Göttlich-Menschlichen, der Trennung ihrer einen großen Liebe in eine irdische und eine himmlische. Das Geheimnisvolle, Undeutbare liegt in diesem unerhört wirklichen „Ach!“. Der Laut faßt noch einmal alles Glück und alle Qual dieser Frau, vielleicht auch ihre Angst und Hoffnung in ein Zeichen von höchster Einfachheit zusammen. Es bleibt in der Schwebe wie alle echte Wirklichkeit des Lebens. Hacks Alkmene kennt keine „Verwirrung der Gefühle“, noch umgibt sie ein Schatten jener leisen Tragik wie die der Verzweiflung und Ratlosigkeit ausgesetzte Kleistsche Alkmene. Bei Hacks sprüht sie von Erotik, ist sie ein genüßliches, erfahrenes, durchtriebenes Geschöpf. Sie kennt sich in der Spitzfindigkeit ihrer Situation sehr wohl aus und weiß darum auch, wieviel sie in jedem Augenblick begreifen darf: nicht zuviel, vor allem aber nicht zuwenig. In diese wunderbar fleischliche und menschliche Alkmene hat sich Jupiter vernarrt, um sie mit seiner Leidenschaft zu erfüllen. Kaum, daß er mit ihr ins Gespräch gekommen ist, wird er anzüglich und bald darauf noch unverblümter. Alkmene fühlt sich in der längsten aller Nächte zum erstenmal voll geliebt. Zunächst glaubt sie noch, Amphitryon habe sie diesmal als Geliebter und nicht als Ehemann aufgesucht. Früh genug ahnt sie, daß der nächtliche Besuch in Amphitry-ons Gestalt nicht ihr Gatte war, und rasch entschließt sie sich, „nicht kleinlich zu sein, ,wenn auch einmal ein Gott kommt und verlangt, als wäre er unser Mann, bedient zu werden“. Die sinnenhafte Erfüllung aller ihrer Sehnsüchte hat Alkmene verändert. Die Täuschung durchschauend, bekennt sie sich offen zu Jupiter, der für sie das ist, was der ledern-karge, spontaner Reaktionen unfähige, in Konventionen verharrende Feldherr-Amphitryon hätte sein sollen; sie bekennt sich zu dem liebesdurstigen Gott, dem „wahren, wirklichen Amphitryon“, der das „verknöcherte Gerüst von Gewohnheiten, die man Gesetze nennt“, rückzuverwandeln vermag „in das freie Spiel glücklicher Möglichkeiten“. Auf seine Frage, was sie denn anders fände an ihm, erwidert Alkmene (und hier tönt von fern das Kleistsche Motiv vom „innersten Gefühl“ an): „Kein äußeres Merkmal. Doch aus einer Welt, bevölkert von Amphitryonen, fühl' ich dich heraus.“ Anders als die unschuldige oder vielmehr treue Ehebrecherin bei Kleist begeht die Hackssche Alkmene bewußt Ehebruch mit Jupiter. Im rasch erwachtem Selbstbewußtsein der emanzipierten Frau begegnet sie dem Wüten des eifersüchtigen Gatten, der sie der Lasterhaftigkeit und der Untreue beschuldigt.

Dieser Alkmene entringt sich am Schluß kein wortloses, tiefaufseufzendes „Ach!“ des Staunens, sie bleibt nicht zurück als immer noch Betäubte, Überwältigte, sondern wissender und resignierter, nachdem sie das neue Glück als Steigerung des Lebens empfunden hat. Am Ende bleibt nur die Skepsis, ob sich jemals noch der Gatte Amphitryon rückzuverwandeln vermag in den Geliebten Amphitryon. Das Schlußwort hat der zum Olymp aufsteigende Allbeherrscher und Weltenbeweger, wenn er sich ein wenig ironisch tröstend an das seinem Schicksal überlassene Paar wendet: „Ging auch nicht alles auf, so ging was vor.“

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