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Entwirrung der Gefühle

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Moliere hat in seinem „A m p h i-t r y o n“ aus der antiken Fabel vom galanten Abenteuer des Vater Zeus bei den Menschentöchtern einen lockeren Gesellschafts- und Ehebruchsschwank mit satirischem Unterton auf die Gewaltherrschaft seines absolutistischen Fürsten (Ludwig XIV.) und die Pariser Hofgesellschaft gemacht. Kleist übernahm Handlung und Gestalten von Moliere, holte aber den alten mythischen Sinn in den Stoff zurück und das reine Bild des Gottes wieder hervor. Bei ihm berühren •ich Himmel und Erde. Aus der bei Moliere nur oberflächlich gezeigten Alk-mene wurde in Kleists vielschichtigem Lustspiel die Verkörperung von Schönheit, Reinheit, Innigkeit und Treue. Ihr Leben, ihr ganzes Sein ist ausgefüllt von der Liebe zu Amphitryon. Eine Liebende ist sie, in der der Glaube an die Göttlichkeit des Geliebten noch unangetastet lebt. Hier gibt es noch kein verstehendes und verzeihendes Wissen um die Wirklichkeit des männlichen Seins. Alkmene lebt ganz und gar aus der unbedingten Sicherheit des Gefühls. „Nimm mir / Das Aug' und Ohr, Gefühl mir und Geruch / Mir alle Sinn' und gönne mir das Herz / So läßt du mir die Glocke, die ich brauche / Aus einer Welt noch find' ich ihn heraus.“

Kleist aber beginnt den Zwiespalt in ihrer Seele zu wecken und treibt die Hilflose und Zarte durch eine Nacht von Qual bis an die Grenze des Erträglichen. Unter dem Bild des Gatten war ihr Jupiter genaht, aber es war der Gatte, dem sie sich hingegeben. Niemals ist ihr Gefühl verwirrt worden. Jupiter vermochte sie nicht zu gewinnen, ihr kein Wort der Liebe zu entlocken. Vermöge seiner göttlichen Allmacht ist er eben völlig Amphitryon geworden und sogar noch wesentlicher als dieser selbst, so daß der alltägliche Amphitryon dagegen verblaßt. Vor die Wahl gestellt, muß für Alkmene der vortrefflichere, strahlendere der beiden der wahre Amphitryon sein, und so trifft sie auch ihre Entscheidung. Der Trauer um den Verlust dieses schönen Glaubens, um den Zwiespalt von Ideal und Wirklichkeit entschlüpft das unvergleichliche „Ach“, mit dem das Spiel endet.

Alle Kraft und aller Glanz, alle szenische Leidenschaft der Dichtung läßt freilich nicht über das Peinliche hinwegsehen: Jupiters Einbruch in Amphitryons Ehe bleibt ein frivoles, abscheuliches Spiel mit

menschlichem Glück. Und man begreift, daß Goethe vor der Schonungslosigkeit und Brutalität, mit der Kleist die Tragik der schutzlosen und verwundbaren Frau und ihres gehörnten Gatten bis ins äußerste treibt, zurückwich. Über die extreme Problematik dieses Lustspiels helfen auch nicht die Dienerszenen hinweg, deren Verwechslungskomik die Haupthandlung parodieren sollen. Bei Moliere sind es eher konventionelle Domestikenwitze, während bei Kleist die Komik mehr eine derbere, niederländische Färbung erhält, die den Stil des „Zerbrochenen Kruges“ vorwegnimmt. Molieres Gesellschaftskomödie, der Goethe im Unterschied zu Kleist „Geist, Witz und zarte Weltbemerkung“ nachrühmte, wirkt einheitlicher, dagegen lebt Kleists Werk aus der Weite der Spannungen, ohne daß sich jedoch letzten Endes die grellen Farben seiner Komik dem tragischen Glanz der Alkmene-Jupiter-Amphitryon-Handlung verbinden würden, zumal die Handlungen nicht nur nebeneinander, sondern auch ineinander laufen.

Die Aufführung im Akademietheater unter der Regie Rudolf S t e in b o e c k s ist als ein halbwegs geglückter Versuch zu werten, der schwierigen Dichtung beizukommen. Pathos und Spott fanden allerdings auch bei ihm nicht zueinander. Aglaja S c h m i d, eine in vielen Rollen schätzenswerte Schauspielerin, erinnerte als Alkmene zu sehr an ihre empfindsam zärtliche Stella. (Hat das Burgtheater wirklich nicht zwei Darstellerinnen von Rang für diese beiden Frauengestalten? Muß man von einunderselben Schauspielerin — wie in dieser Woche — Montag die Stella und Samstag die Alkmene spielen lassen?) Erich S c h e 11 o w war in Statur und Sprache Jupiter, weniger der hintergründig sich in Liebessehnsucht verzehrende Olympier. Walter Reyet gab den echten Amphitryon männlich-schön, gut in der Haltung, nur etwas unbeteiligt. In der unteren, der Sosias-Sphäre hatte man es leichter. Da herrschte ungeniert der burleske Humor, der mimische Urtrieb: Boy Gobert als Diener Sosias, Blanche Aubry (nur etwas zu schrill) als dessen Gemahlin Charis, Peter P. Jost als Merkur. Paul F1 o r a s Bühnenbild zeigte einen ironisch gestrichelten Hintergrund, von dem sich die farbigen Kostüme hübsch abhoben.

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