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Das Sprechstück der Salzburger Festspiele 1951

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Der „Jedermann“ war der Anfang und die Mitte der Salzburger Festspiele 6eit jenem denkwürdigen 22. August 1920, da mit seiner Aufführung auf dem Domplatz die Ära begann, deren neue und größere Dimensionen der geistigen Konzeption Hugo von Hof-mannslhals entsprungen waren. Salzburg, das Herz vom Herzen Europas“ (wie der Dichter das Land in seiner Festrede auf der ersten Generalversammlung der Festspielhausgemeinde genannt hatte), bietet seinen Gästen wieder das alte, durch ihn erneuerte Mysterienspiel dar, das heut' wie je da6 Mensdienherz ergreift durch die schlichte und 6tarke Bildhaftigkeit seiner Sprache, durch die innere Wahrheit seiner Handlung, in der ein überaktuell-aktuelles Men6chenproblem seine erschütternd tröstliche Lösung findet. Die schlechthin geniale Regie Max Reinhardts, bis ins kleine Detail durchgestaltet und bewundernswert in die Großartigkeit der architektonischen Szenerie des herrlichen Platzes hineinkomponiert, macht das treue Festhalten daran in der (besetzungsmäßig kaum veränderten) Epi-Inszenierung Helene T h i m i g s verständlich. Die Ablösung de6 „Jedermann“ durch „Das große Welttheater“ oder der alternierende Wechsel mit einem anderen Mysterienspiel ist bereits viel diskutiert worden. Es erhebt 6ich auch die Frage, ob es gelingen könnte, die Formelemente der Reinhardt-sdien Inszenierung aus deren teilweisen Um-deutung ins Individuelle, Sinnenhaft-Konkrete zu befreien und sie in einem dem Geist des Spiels adäquatere Sohau einzufügen, die das Typische, Zeitlose, sinnhaft Symbolische zur volleren Herrschaft gelangen läßt.

„Wie es euch gefällt“, Shakespeares zauberhaftes Lustspiel, hat Gustav Gründgens in seiner Inszenierung, einem bestimmten, modernen Lebensgefühl gehorchend, entzaubert. Seine sehr gekonnte, prägnant nuancierte Regie versucht der romantischen Auffassung de6 deutschen Übersetzers A. W. von Schlegel durch Stilisierung einerseits, durch Realistik andererseits zu entgehen. Seiner Neigung zur Stilisierung verdanken wir Wilhelm R e i n k i n g s Bühnenbild, dem es nicht gelingt, durch seine wechselnden Kombinationen stilisierter (wurzelloser) Bäume die höfische Welt von jener des Ardenner Waldes atmosphärisch abzugrenzen. Der Ardenner Wald — er ist der eigentliche Schauplatz dieses Spiels, in dem sich die menschliche Daseinsrealität wie das Mädchen Rosalinde in den Mannskleidern verbirgt, um ihre geheimsten Absichten zu verwirklicheni in dem ein von Liebe und Weisheit durdi-onnter Humor sdiwerelos die seltsamsten Ubergänge von der kompakten Gestalt dieses irdischen Leben6 in das lichte Reich eines versöhnlichen Lebens6innes ersteigt —, gewiß, der Ardenner Wald ist nicht romantisch, nicht irreal verträumte Illusion, aber er ist durchweht von der Melancholie des Dichters wie des Musikers, von der Jacques sagt, daß sie phantastisch sei. Gründgens verwirft zuweilen mit der Romantik die poetische Phantasie und gleitet stellenweise sogar in einen p6ychologisierenden Verismus ab, der das Rührende der Gestalt des treuen Dieners Adam oder des wider alle Hoffnung hoffenden, weil liebenden Schäfers Sylvius überdeckt. Auch die leichte Travestierung Hymens, die in diesem holden Spiel der Liebe mit ihrem Band acht Paare verknüpft, vermochte im Lande Ferdinand Raimunds nicht zu überzeugen.

„Der zerbrochene Krug“, Heinrich von Kleists köstliches Lustspiel: seiner Aufnahme ins Festspielprogramm 1951 war man mit Grund skeptisch begegnet. Die groteske Gerichtsstube in Huisum fremdet in Salzburg an; der dichterische Realismus dieses Werkes, das sich in Deutschland erst durch den Hauptmannschen Naturalismus des „Biberpelz“ völlig durchgesetzt hatte; die herbere, härter gekantete Sprache Kleists fügt sich dem Kulturraum Salzburgs nicht widerspruchslos ein. Daß die Aufführung trotzdem überzeugte, ist da6 unbestreitbare Verdienst der Regie Berthold Viertele und seines Ensembles

Die Besetzung ist ausnahmslos geglückt. Das Bühnenbild RodiU6 Glieses ist dem Milieu und Stoff vollkommen angepaßt. Die Ausgewogenheit der Ensembleleistung, die einander nahtlos folgenden Szenen, die den Kleist-Stil beherrschende, doch unmerklich mildernde sprachliche Interpretation diente der künstlerischen Absicht, den hintergründigen Gehalt der Dichtung realistisch und szenisch verdichtet anschaulich zu machen, die Charaktere in ihrer farbigen Differenziertheit und das Geschehen in seinen humoristischen Aspekten darzustellen, so daß eine der kostbarsten Perlen deutscher Lustspieldichtung ihre Gültigkeit über Raum und Zeit bewies.

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