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Kleists "Amphitryon" bei den Salzburger Festspielen:

klar, aber kalt.

Eine Gesellschaft, die zwei Minuten Finsternis nicht verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus stop." Thomas Bernhard ließ im Jahr 1972 die Vorstellungen von "Der Ignorant und der Wahnsinnige" bei den Salzburger Festspielen absetzen, weil es feuerpolizeilich untersagt war, die Notbeleuchtung abzuschalten.

Regisseur Stefan Bachmann zitiert ihn in diesem Jahr szenisch. Über die stockfinstere Bühne auf der Halleiner Perner-Insel stolpert sein Sosias (Sebastian Blomberg). Das Notlicht ist mit Tafeln zugedeckt. Bachmann nimmt Heinrich Kleist beim Wort (dies gilt übrigens für die gesamte Inszenierung) und schafft tiefe Nacht. Kein Mond leitet den nach Theben heimkehrenden Sosias.

Erst als ihm Merkur (Alexander Khuon) den Weg verstellt, leuchten die Taschenlampen die Gesichtzüge beider aus. Unheimlich fallen die Schatten über vier Augenhöhlen. Der göttliche Doppelgänger entpuppt sich schnell als dämonischer Teufelskerl. Er prügelt dem braven Diener die Identität aus dem Leib. In der Finsternis setzt er akustisch Kinnhaken, Betonwatschen und Magentritte.

Brutalität und Komik

Bachmann hat sich entschieden, alles Überirdische über den Ton zu lösen. Ein durchaus pragmatischer Einfall, der so mancher Szene die Gleichzeitigkeit von Brutalität und Komik verleiht. Immerhin ist Kleists "Amphitryon" ein Lustspiel, eine Verwechslungskomödie mit tiefem Sinn.

Bachmanns Interpretation konzentriert sich in erster Linie auf die Demontage der Kriegshelden und Göttermänner. Selbst im Olymp ist es ohne Liebe öde, flüstert Jupiter (Robert Gallinowski) seiner Alkmene (Anne Ratte-Polle) ins Ohr und möchte sich trotz Allmachtspotential um seiner selbst willen geliebt wissen. Amphitryon (Samuel Finzi), siegreicher Feldherr, entpuppt sich als lächerlicher Hahnrei. Um Einlass bettelnd, zwickt er sich im Postfach seiner eigenen Haustür die Finger ein, quietscht und weint nach seiner Frau.

Und das nicht nur einmal. Immer wieder treffen wir auf schon gesehene Szenen. Bachmann hat für seinen bereits in früheren Inszenierungen bewährten Regieeinfall der Wiederholung in "Amphitryon" das optimale Stück gefunden. Bei der Schilderung seines nächtlichen Erlebnisses fragt Sosias "Muss ich es zehn-und zehnmal wiederholen" und nimmt den Text beim Wort. Die schier unauflösbaren Wiederholungsspiralen bewältigen Sebastian Blomberg und Samuel Finzi mit schauspielerischer Bravour. Immer wieder und immer schneller wiederholen sich dann die Vorgänge bis hin zu einem Labyrinth aus Deja-vus.

Kalter Kleist

Trotz Finzis und Blombergs herausragender Leistung wirkt die Inszenierung phasenweise starr. Das liegt zum Teil daran, dass Anne Ratte-Polle die Alkmene allzu gekünstelt und ausgestellt spielt. Zugegeben, Kleists Versmaß ist nicht gerade einfach zu bewältigen, aber dennoch: ihr Sprechduktus bleibt durchgehend kalt und überzogen. Sie krümmt und verbiegt sich vor Verwirrung, aber glaubhaft ist ihre Verwunderung nicht. Auch Katharina Schmalenbergs sexy geschürzte (Kostüme: Annabelle Witt) Dienerin Charis ist blass hinter der karikaturenhaften Zeichnung der beleidigten Ehefrau. Alexander Khuon fletscht hie und da sadistisch die Zähne, ansonsten bleibt sein Merkur recht farblos. Robert Gallinowksi ist ein angerührter Göttervater, selbstmitleidig und eitel. Eifersüchtig kuschelt er mit Alkmene unter der Decke.

Verrutschte Perspektiven gibt es in dieser Produktion auf allen Ebenen. Das Publikum sieht Jupiter und Alkmene quasi aus der Vogelperspektive, ihr Bett ist an die knallrote Wand geheftet. Johanna Pfaus schlichte Bühne arbeitet mit den Farben rot, schwarz und weiß. Ebenso eindeutig ist auch diese Inszenierung. Klar und einfallsreich, wenn auch ohne Tiefgang.

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