Besuch der jungen Dame

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"Dogville": Lars von Trier seziert, mit Nicole Kidman an der Spitze, die heile Welt - irgendwo in den Felsigen Bergen. Rezensentenmeinung: Der Film des Jahres.

Lars von Trier hat schon in seinen - nicht nur emotional - mitnehmenden Film-Epen "Breaking the Waves" (1996) und "Dancer in the dark" (2000) das Opfer-Motiv grandios aufgenommen und ebenso genial gebrochen: Dem dänischen Regie-Besessenen geht es dabei nicht um den Sündenbock, jenen Archetypus, dem die Schuld einer hermetischen Gesellschaft aufgeladen wird, und der dies mit seiner persönlichen Vernichtung zu "büßen" hat. Der Mythos von der Erlösung durch einen Sündenbock - wie er auch von der jüdischen und christlichen Tradition diskutiert wird - spielt hier hinein; aber von Trier zeigt keine Befreiungsgeschichten, sondern verstört mit seinen Filmen jede gängige Welterklärung.

Mit "Dogville" ist nun seine nächste Variation des Themas in den Kinos, meisterlich wie die anderen: Die blonde junge Grace flieht vor einer Gangsterbande ins vollkommen abgeschiedene Hundsdorf - Dogville - in den Felsigen Bergen - Rocky Mountains. Nur mühsam kann Tom Edison jr., Sohn des Dorfarztes und Schriftsteller in spe, die rechtschaffenen Landleute überzeugen, die Schöne aufzunehmen und vor ihren Häschern zu schützen. Grace ist als Gegenleistung allen Dorfbewohnern zu Diensten. Die biedere Fassade fällt im Laufe des Films in sich zusammen, Grace wird zum Opferlamm, aber ein Schlachtbank-Finale für sie lässt Lars von Trier eben nicht zu, wenngleich unversehens doch einiges an Blut spritzt.

Auch formal variiert "Dogville" Früheres: In "Dancer in the dark" probierte Trier mit der isländischen Popsängerin Björk das Genre Musical, um seine Film-Bestürzung darzustellen. In "Dogville" hält er sich an Shakespeare und bringt eine Bühne auf die Leinwand, deren Kulissen zum Großteil nur auf dem Boden markiert sind. Mit Licht, Kameraperspektiven (oft aus der Vogelschau) und Musik wird hier eine Parabel als Film-Tableau ausgebreitet, und man findet sich - wie in den anderen Von-Trier-Filmen - als beteiligter Zuschauer wieder, der drei Stunden lang der Sezierung einer heilen Welt beiwohnt und nicht umhin kann, sich der dargestellten Qual willentlich auszusetzen.

Nicole Kidman - nach Emily Watson ("Breaking the waves") und Björk nun der dritte Lars-von-Trier-Star - wächst in der Darstellung der Grace über all das hinaus, was bisher von ihr gesehen wurde. Auch die restliche Schauspielerriege fügt sich zur verdichteten Beklemmung, die aus "Dogville" den Film des Jahres macht. Dass Lars von Trier mit der Verpflichtung von Lauren Bacall und James Caan auch noch Good old Hollywood ins Hundsdorf holte, nimmt man zum Drüberstreuen mehr als gerne mit.

DOGVILLE

DK 2003. Regie & Buch: Lars von Trier. Mit Nicole Kidman, Paul Bettany, Lauren Bacall, James Caan, John Hurt.

Verleih: Polyfilm. 178 Min.

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