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Viel Haut und wenig kritischen Inhalt bieten Berlusconis Medien in Italien. Hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf um die RAI..

Für Tobias Jones sieht die Hölle aus wie für andere das Paradies: Bikinimädchen rund um die Uhr, langbeinige Tänzerinnen, viel Haut und wenig Bekleidung. Seinem Frust machte der Italien-Korrespondent der Financial Times in einem ganzseitigen Artikel Luft: "My Italian TV hell". Schlichtweg ungenießbar seien die Fernsehprogramme in Italien: seicht, oberflächlich, eine Zumutung. Was folgte, war ein Aufschrei der Empörung. Denn, wo sich der kühle Brite in der Hölle wähnt, wölbt sich für viele Italiener der Himmel.

In zahlreichen Haushalten läuft das Fersehprogramm rund um die Uhr. Die Moderatoren der Showsendungen sind beneidete Stars. Italiens derzeit meistgesehener Film "Ricordati di me" (Denk an mich) von Gabriele Muccino erzählt die Geschichte einer 18-jährigen, die vor nichts zurückschreckt, um ins Fernsehen zu kommen. Durchaus realistisch: Tausende Mädchen bewarben sich darum, in einer täglichen Satiresendung auf den Tischen der zwei Moderatoren zu tanzen - für die beiden, die es schafften, ist der Weg geebnet.

60.000 Stunden Fernsehen

Traumfabrik Televisione: 60.000 Stunden Fernsehen strahlt allein die RAI jährlich aus. Das erklärt die Vehemenz des Machtkampfs um den Sender. Ganz vorne mischt einer mit, für den das Fernsehen tägliches Brot ist: Silvio Berlusconi, Medienzar und Regierungschef in Personalunion.

Seit seinem Wahlsieg hat er nichts unversucht gelassen, um den öffentlich-rechtlichen Koloss mit drei landesweiten Fernseh- und Rundfunkprogrammen, 23 Regionalstudios und 10.000 Bediensteten unter seine Kontrolle zu bringen. Keinem Termin sah er so ungeduldig entgegen, wie dem Ende der Amtszeit des RAI-Verwaltungsrats. Die war noch gar nicht abgelaufen, als der Premier bereits die Marschrichtung vorgab. Die Journalisten Enzo Biagi und Michele Santoro und der Komiker Daniele Luttazzi müssten vom Bildschirm verschwinden.

Enzo Biagi, Doyen des italienischen Journalismus, erzielte mit der täglichen Kurzsendung Il fatto (Das Ereignis) die höchsten Einschaltquoten. Michele Santoro war Moderator einer kritischen Live-Sendung zu aktuellen Themen, Daniele Luttazzi hatte den Premier mit seinem ironischen Programm Satyricon vergrätzt.

Kaum war der Verwaltungsrat ausgewechselt, setzte RAI-Generaldirektor Agostino Saccá die Sendungen der drei ab. Alle Programmchefs und Chefredakteure wurden ausgewechselt. Zehntausende gingen daraufhin auf die Straße. Die Auseinandersetzungen im Verwaltungsrat wurden zur Zerreißprobe. Schon nach wenigen Monaten traten die beiden Vertreter der Opposition zurück, dann ging der Christdemokrat Marco Staderini. Er mochte die selbstherrlichen Entscheidungen des neuen RAI-Präsidenten Antonio Baldassarre nicht mehr mittragen.

Frau an der Medien-Front

Baldassarre und der Lega-Vertreter Ettore Albertoni fällten trotz wachsender Kritik wichtige Personalentscheidungen. Schließlich beschlossen die beiden die Verlegung von RAI 2 von Rom nach Mailand. Lega-Chef Umberto Bossi triumphierte. Vizepremier Gianfranco Fini forderte den sofortigen Rücktritt Baldassarres. Die Präsidenten von Kammer und Senat, denen die Ernennung des Verwaltungsrates zusteht, wechselten die Strategie: der Berlusconi-kritische Journalist Paolo Mieli sollte RAI-Präsident werden.

Doch der Ex-Chefredakteur des Corriere della sera stellte Bedingungen: Rückkehr von Biagi und Santoro auf den Bildschirm, freie Hand bei Personalentscheidungen. Nach fünf Tagen scheiterte Mieli am massiven Widerstand von Forza Italia und Lega Nord. Nur Stunden vergingen, da zogen die Präsidenten von Kammer und Senat ein neues Kaninchen aus dem Zylinder: Lucia Annunziata. Die 53-jährige Journalistin weiß, wie man sich im verminten Gelände bewegt: sie war lange Kriegsberichterstatterin. Sie kennt die Fernsehanstalt als ehemalige Chefredakteurin von RAI 3. Doch auch ihr weht ein rauer Wind ins Gesicht. Um den Rücktritt des Berlusconi-hörigen Generaldirektors durchzusetzen, musste sie gleich in der ersten Sitzung des Verwaltungsrates mit Rücktritt drohen. Einer kann vorerst zufrieden sein: Tobias Jones. Für nackte Haut am Bildschirm hat die resolute Journalistin in der RAI-Chefetage garantiert wenig Sympathie.

Der Autor ist Italien-Korrespondent.

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