Nachrichten-Patrioten

Werbung
Werbung
Werbung

Staatsnahe Nachrichtenagenturen sind Wasserträger der Medienwelt und Botschafter der Macht.

Patriotische Sprachrohre

Die weltumgreifende AP bildet dennoch die Ausnahme. Im globalen Wettlauf um den Rohstoff "Information" konkurrieren nur die britische Reuters (gegründet 1849) und die französische Agence France Press (1944). Sonst beschränken sich Nachrichtendienste auf lokale Märkte und nationale Aufgaben. Fast jeder Staat leistet sich eine "halbamtliche" Nachrichtenagentur: Italien die ANSA (1944), Ungarn die MIT (1881), China die Hsin Hua (1937), Indien die PTI (1949), Australien die AAP (1937), Russland die ITAR/TASS (1925). Hauptziele sind das Hüten patriotischer Werte und offiziöse Darstellung von Staatsräson.

In Österreich und Deutschland starteten die zentralen Dienste fast zeitgleich: Die Austria Presse Agentur (APA) entstand 1946, die Deutsche Presse Agentur (dpa) 1949. Beide sind als Genossenschaften organisiert, inzwischen schwesterlich verbunden. Die Tageszeitungen, in Österreich 14, in Deutschland 190, halten - bei rotierendem Vorsitz - geringe Anteile und beziehen den Löwenanteil der Meldungen für ihr Blatt.

Der Stoff quillt endlos. In der Hamburger dpa produzieren 900 Mitarbeiter täglich über 1.000 Meldungen. Die Wiener APA nennt sich "Nachrichtenfabrik Nr. 1". 200 Mitarbeiter, die nur unter Kürzel schreiben dürfen, sind als "blue collar worker" der heimischen Publizistik ebenfalls beste Republiksdiener.

Im Pressezentrum Muthgasse fertigen sie auf zehn Etagen 300 Tagesmeldungen mit Österreichbezug wie am Fließband. Die Konfektionsware deckt 60 Prozent der Inlandsressorts und 70 Prozent der Auslandseiten heimischer Gazetten ab.

Monopoly der Wahrheit

In Europa genießen Nachrichtenagenturen nationale Monopolstellung mit starker Binnenmacht. Mitbewerb ist nicht erwünscht. Entwicklungen der letzten Jahre provozierten zwar Vorstöße. Kurz erzeugte die - wieder abgeblasene - "Internetrevolution" kommerziellen Druck auf Staatsagenturen. Am Höhepunkt vor drei Jahren wollten Medienhäuser über Web-Portale auf eigene Faust "Nachrichten" verbreiten. Legendär die Kabale zwischen der APA und dem Dienst Pressetext Austria AG, der als kleiner Hecht im Karpfenteich den Monopolisten reizte. Mitte 2000 folgte der Vorwurf der "Content Piraterie". Inzwischen lässt Goliat Zwerg David in einer Nische gewähren.

Große Informationskonzerne indes haben ganz andere Sorgen. Sie segeln in internationalen Gewässern unter nationaler Flagge. Die Außenwirkung ist enorm, Glaubwürdigkeit und "Unabhängigkeit" nicht immer. Oft verblasst der Unterschied zwischen "Nachricht" und getönter "Propaganda" wie Gerhard Schröders Haar.

Die russische TASS etwa, bis 1972 vollstaatliche Einrichtung im Rang des Staatskomitees, wurde 1991 von Boris Jelzin mit der ITAR fusioniert. Bei einem kürzlich von der APA in Wien veranstalteten Symposium über Ethik im Agenturjournalismus zeigte eine Aussage des ITAR-TASS-Chefredakteurs, Sergej W. Karmalito, wie Putin-treu die Agentur mit 70 Auslandsbüros heute ist. Mit dem emotionalen Ausdruck eines Parteikaders meinte Karmalito, dass "tschetschenische Terroristen" in seiner Agentur grundsätzlich "nicht vorkommen".

Objektivitätsverlust nach dem 11. September

US-britische Agenturen wiederum lecken seit dem Menetekel des 11. September ihre Wunden. Sie müssen sich neu erfinden. Unter dem Druck präsidialer Gefolgschaftsparolen prallten "patriotische Pflicht" und "Pressefreiheit" hart aufeinander. Gebotenerweise meinte auf der APA-Tagung der Nachrichten-Chef der britischen Reuters, Stephen Jukes, dass sein Dienst jede "Flaggenparade", wie man sie wochenlang auf CNN sah, ablehnte. In Schicksalsstunden, so der allmächtige AP-Boss und Vorsitzende des Pullitzer-Preis-Komitees Louis D. Boccardi bei der Veranstaltung, hätte er sich eingestehen müssen, dass es im Nachrichtengeschäft "schwieriger" wurde, auf der frisch geteerten Einbahnstraße der "Achse des Bösen" in die Gegenrichtung zu fahren.

Neutrales Nachrichtengeschäft droht im Kielwasser der Weltpolitik zu versinken. Es bedarf mündiger Konsumenten. Sonst behält Mark Twain abermals Recht: "Eine Lüge ist bereits dreimal um die Erde gelaufen, ehe sich die Wahrheit die Schuhe anzieht."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung