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Digital In Arbeit

Die Riesenspinnen

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Die Funktion aller Nachrichten beruht darin, Wissen zu verrndittelm. Die einzelne Liforrnation übertrrägt dös Wissen, das der Informierende mitteilen ' kämm und/oder mitteilen will. Wenn aus dem Wissen Erkenmt-ntiis und damit die Grundlage zu einer eigenen Meinungsbildumg werden soll, so muß es auf vielseitiger Information beruhen.

Am Anfang allen Wissens steht demnach die Information. Nachrich-ten wenden nur zum kleineren Teil von den ums geläufigen Mediiien (Zeitungen, Rundfunk, Permseban) recherchiert, in der Regel werden sie von nationalem und internationalen Nachrichteriagenturem auf dem Naehrichtenimiarkt verkauft. Nicht unbedlmgt mrit unmitbelibamen Ge-wimmabsäcbfjem, meist — und zwar im tabarmaitjionaöien Nachriohrtenverkebr — um den Preis des Einflusses auf wirtschaftliche und gesellschaftliohie Entwicklungen und Emtschieädumgien.

Es 'ist deshalb kein Zufall, daß einst und heute die marktbeherrschenden Nacbrichtemagemituren ihre Zentralen in Staaten haben, die zu den politisch und wirtschaftlich führendem Mächten der Ende zählen. So entstanden im der Mitte dies vorigem Jahrhunderts fast gleichzeitig zentrale Telagraphiemibüros in Frankreich, Preußen, England und in dem Vereinigten Staaten. Und dort, ergänzt durch die in diesem Jahrhundert zur Weltmacht gewachsene UdSSR, sitzen sie auch heute noch. Majorisiert wind der Nachrichten-Weltmarkt heute von sechs Agenturen: zwei mit dem Hauptsatz in den Vereinigten Staaten, vier mit dem Sitz in Europa. Es sind dies „The Associated Press“ (AP) und „United Press Internartiional“ (UPI) in den USA, „Reuters“ in Großbritanmien, „Agemoe Framoe Prasse“ (AFP) in Franknaich, die „Deutsche Presse Agentur“ (dpa) und „Teliagrafnoje Agemstjwo Sowjetskowo“ (TASS) im der Sowjetunion. Gab es um die Mitte dies 19. Jahrhunderts insgesamt nur vier „Telegraphmbüros“, so sammeln und vermitteln heute rund 180 Unternehmen in 88 Staaten Informationen — meist nur für den regionalen oder nationalen Bedarf.

Nachrichten Journalisten sind Schleusenwärter der immer stärker ansteigenden Iriformationsfiut. Sie entscheiden, was war aus den Zei-tumigen, dem Rundfunk und dem Fernsehen letztlich erfahren und wie wir es erfahren. Denn die Imforma-ttomen, die in den Agentenzentralen zusammenlaufen, ergeben ein Vielfaches der 35.000 Wörter, die von den Fernschreibern der Nachrichtenagenturen täglich übermittelt werden.

Meist ist die Entscheidung, was aus dem breiten Informationsstrom und in welche Richtung zu kanalisieren ist, nicht allein eine Frage des Nachrichtenrwartes, sondern auch ein Problem der Beeinflussung von politischen, wirtschaftlichen und gesell-schaf blieben Entwicklungen und Entscheidungen. Wahrscheinlich könnte die amtliche Sowjet-Agentur TASS die Welt täglich mit Sensationen versorgen; sie tut das meist nicht, weil das gar nicht ihre Aufgabe ist. Meldet aber TASS Vorgänge inner-und außerhalb der Sowjetunion, so darf man — unabhängig vom Wahrheitsgehalt und dem Informations-wert der Meldung — sicher sein, daß mit dieser Meldung die partei- und regierumgsoffiziellie UdSSR zu Wort kommen will.

Den Gründerin von Weltmachrich-temagentunan — William R. Hearst in den USA Julius de Reuter in London und Bernhard Wolff im Preußen — war schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts klar, daß das Speichern und Verwerten von Nach-riohten wohl ein notwendiges, doch sehr kostenintensdves und damit wenig lukratives Geschäft ist. Doch recht rasch begriffen die Regierungen, daß Nachrichtenagenturan vor allem ein Instrument der Beeinflussung und der Machtausübung sind. Waren demnach die Nachriehten-agenturen bis zum Begann dies 20. Jahrhunderts Erwerbsunternieh-mungen oder halbamtliche, staatlich subventionierte Anstalten, so haben 'Sie beute im Prinzip weitgehend das zuenst von der „Associated Press“ in den USA geschaffene genossenschaftliche System übernommen. Sie vermeiidien damit die ummnittelbare staatliche Abhängigkeit, gleichen die natürlichen inneren politischen, ge-seillschaftliohien und wirtschaftlichen Spannungen aus.

Bei der weltgrößben Nachrichtenagentur Associated Press (AP) siebt das so aus: Amerikanische Zeitungen und Runidfumkanstalten sind Mitglieder der AP-Genossenschaft und gleichzeitig Bezieher dar Dienste. Gewinne wanden auf das neue Jahr vorgetragen, Verluste tragen die Mitglieder. Auf diesem Prinzip beruht auch die „Austria-Presse-Agentur“ (APA) in Wien. Sie ist zufolge ihrer genosser^haiftlichen Struktur faktisch zur Unparteilichkeit verpflichtet. Denn so, wie „Associated Press“ in den USA, Reuters in Großbrratemnien und dpa in der Bundesrepublik Deutschland, gehört die „Austria-Presse-Agentur“ ihren Kunden, den Zeitungsvemlegenn und dem ORF, die gesellschaftspolitisch verschiedenen Gruppierungen angehören. Dieser Pluralismus findet seinen Ausdruck in der polit-paratäti-schen Besetzung von Redaktionspo-sten und das geschieht nicht nach starren Regeln, sondern auf Grund einer langen Übung.

Staatliche Nachrichtenagenturen findet man nur noch in totalitär regierten Ländern: die TASS in der Sowjetunion, die Hsinhua in dar Volksrepublik China sind die größten davon.

Der zweitgrößte Nachirichtenkon-zarn der Welt, die „United Press International“ befindet sich in der Hand der amerikanischen Zeitungs-kcinrzernie Scripps-Howard und Hearst. Er ist in der Form einer geschlossenen Aktiengesellschaft organisiert; stellvertretend für die Belegschaft 'halten der Präsident und diie Vizepräsidenten eine Aktien-Sperr-minorität.

Die Aufteilung der Weit in wenige Machtblöcke bestimmt heute vor allem die Absatzmögtachkedten der Agenturen. „Wie eine Riesenspinne“, schreibt Hansjoachim Höhne, Leiter des Pressezentrums des Deutschen Bundestags und hervorragender Kanner der Tätigkeit von Nachrichtenagenturen, „umspannt jede von ihnen den 'ganzen Bndball mit einem Netz eigener Korrespondenten. Unter umgeheurem technischen Aufwand verbinden sie auf allem Kontinenten die einzelnen Länder mit eigenen Kabeln und mit Funkbrük-ken. So gelingt es ihnen, die im aller Welt gesammelten Informaitionien so schnell wie möglich zentral zu sammeln, zu bearbeiten und in umgekehrter Richtung auf gleichen Wegen wieder am die Nachrichtenkon-sumenten in aller Welt zu liefern.“ Grundregel dabei: Wer seinem Kunden am schnellsten eine vollständige Übersicht bieten kann, ist König.

So arbeiten für Associated Press und United Press International jeweils rund 3000 festangestellte Journalisten in rund 60 Ländern. Beide haben ein etwa gfleichlanges Fernschreibnetz von 800.000 Kilometer Standleitungen, ein knappes Achtel davon in Europa. In der Londoner Zentrale der Reuter-Agentur werden heute täglich rund 600.000 und in den Regionaldiensten über 1,3 Millionen Worte „umgesetzt“, die über 900.000 Kilometer Kabel die Welt umkreisen. Ein Daterwerbimdunigs-netz ermöglicht es den angeschlossenen Kunden, von jedem Börsenplatz der Welt in weniger als einer Sekunde Börsenotizen abzurufen. Aber selbst der Tagesdurchschnitt an Wörtern der verhäitaismäßig kleinen „Austriia^Presse-Agentur“ würde in Buchform einen Wälzer füllen. Den nationalen Einfluß der „Austria-Presse-Agientur“ mag man daran erkennen, daß rund ein Drittel der Meldungen in österreichischen Zeitungen über das APA-Telexnetz verbreitet wird.

Nach einer zwei Jahrzehnte zurückliegendien Untersuchung der UNESCO werden rund zwei Drittel der Weiltbevölkerumg von den amerikanischen, 55 Prozent von den britischen, 53 Prozent von der französischen und 40 Prozent von der sowjetischen Agentur informiert.Schon 1856 kamen die Telegrrapben-büros auf den Gedanken, durch Zusammenarbeit Kosten zu sparen. Diese Idee wurde 1870 vertraglich fixiert und wirkt trotz der Vertragsauflösung im Jahre 1934 noch heute fort.

Die hohen technischen und personellen Kosten von Nachrichtenagenturen zwingen zu einem malt großer Intensität geführten Wettbewerb. Auf der technischen Ebene ist man heute dazu ubergegangen, mit Hilfe moderner elektronischer Qrganisa-tionismodelle bei stabilem Personal-stand das Tempo und den Umfang der Nachrichtenspedcherung und -vergäbe zu beschleunigen. Man will Roboter Nachnichten auffangen, ordnen, aktualisieren und in Sekundenschnelle an die Kunden weitanleiten lassen.

In den Staaten der westlichen Hemisphäre ist der Nachrichtenmarkt unter den vier großen Agenturen in mehr oder weniger freiem Wettbe-wenb aufgeteilt, während im Ostblock die sowjetische Agentur TASS (ihr ehemaliger Direktor Pulganow meinte einst: ,,Nachrichten sind Agitation durch Fakten“) den Naohrich-tenmarkt beherrscht. Ein wenig nascht hier im übrigen auch die „Austria-Presse-Agentur“ mit Informationen aus dem COMECON-Raum für die westliche Welt mit. Der große Kampf der großen Agenturen wird jedoch um die Nachnichtenmärkte der Dritten Welt in Südamerika, Asien umd Afrika geführt Dabei gabt es politische Bindungen, wirtschaftliche Abhängigkeiten, rassistische Vorurteile und kolonialistische Res-sentiinents, die das Nachrichtenge-sohäft stark beeinrflussen. Auf diesen großen Märkten liegt aber auch die Chance der mittelgroßen mternaitio-nalen Agenturen, mit ins weltweite Geschäft mit Nachrichten einzusteigen. Das gilt im übrigen auch für die „Austria-Presse-Agentur“, die nicht allein die in Österreich gesammelten Informationen an mehrere Weltagen-turen gleichzeitig verkauft, sondern auch Nachrichten aus dem angrenzenden Ostblock und selbst aus dem Nahen Osten oft exklusiv und in hervornagender Qualität liefert.

Trotz dieses scharfen internationalen Wettbewerbs bestehen zwischen den Weltagenturen umd den vielen kleinen nationalen Agenturen unübersichtlich enge Verflechtungen. TASS liefert beispielsweise im Tauschverkehr Nachrichten an mehr als 60 Agenturen; Reuters-London bezieht Nachrichten von 56 Nachrichtenagenturen und verkauft seinen vor allem auf wirtschaftliches Geschehen ausgerichteten Weltdienst an mehr als 70 solcher Unternehmen.

Nachrichtenagenturen müssen häufig den Vorwurf der Einseitigkeit und der Abhängigkeit von .politi-schan und wirtschaftlichen Interessen hinnahmen. Dennoch lassen sich — von den Nachrichtenagenturen in totalitär regierten Staaten abgesehen — nur schwer Beweise für Meinungsmanipulationen erbringen.

Demokratie und Gesellschaft brauchen aus Überlebensgründen vielseitige Informationen. Hinter den Nachrichten und Kommentaren in der Tagespresse, im Rundfunk und im Fernsehen steht letztlich immer ein Schleusenwärter in einer Nachrichtenagentur, der meint, daß eine bestimmte Meldung interessant, genehm oder wichtig sei. Die harte Konkurrenz auf dem Weltnachrichtenmarkt zwingt zu einem gewissen Maß von Objektivität.

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