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Brief an Pussy Riot

Liebe Marija Aljochina!

Liebe Jekaterina Samuzewitsch!

Liebe Nadeschda Tolokonnikowa!

Mascha! Katja! Nadja!

Alle Demokratiebewegungen und die für Demokratie, Öffentlichkeit und Offenheit streitenden Frauen und Männer dieser Welt sind euch dankbar für euren Mut. Gerade erst haben Olympische Spiele die Botschaft ausgegeben, dass Jugend ein egomanisches Muskelspiel ist, mit dem sich chauvinistisch-nationalistische Staaten nach Belieben schmücken. Eine Botschaft über eine Welt, in der absolut nur die Sieger zählen.

Aber es gibt euch: frech und unerschrocken, ungehorsam gegen Hierarchie und Autokratie, mütterlich und unvorstellbar weiblich, überlegt und intuitiv auf der richtigen Seite des Demokratischen.

Frauenstaffel der Demokratiebewegung

So alt haben die Metropoliten und Hierarchen der Kirchen, Politbüros und aller anderen "strengen Kammern“ dieser Welt noch selten ausgesehen mit euch als Gegenüber. Ihr im Glaskäfig, bewacht von Justizwachebeamten mit Kampfhunden; auf der anderen Seite eine Richterin, die aussieht, wie wenn sie - z. B. in der Bemessung des Strafausmaßes - auf Punkt und Komma ausführt, was ihr von oben angeschafft wurde.

"Pussy Riot“: Gäbe es euch nicht, man müsste euch erfinden. Nur wäre die Erfindung viel weniger poetisch und zielbewusst, als ihr es seid.

Ihr zeigt eindrucksvoll und authentisch, dass junge Leute nicht nur Karrieremaschinen des eigenen Vorteils, Sportler, die aus egoistischen Gründen die Mitwirkung an der Mannschaftsstaffel verweigern, sind, sein sollen, sein müssen. Ihr seid eine Frauenstaffel für die internationale Demokratiebewegung.

Eure Performance war hip und top. Jeder gute Christ und Verehrer der Mutter von Jesus freut sich über die Bühne, die ihr für euer Punk-Gebet gewählt habt.

Ihr habt einen wichtigen Etappensieg errungen. Wir, die wie ihr eine freie Welt wollen, sind an eurer Seite, und wir werden sie durchsetzen.

Brief an Präsident Putin

Sehr geehrter Herr Präsident!

Erlauben Sie mir in der Angelegenheit der Verurteilung der Punkband Pussy Riot drei Fragen und drei Anregungen an Sie.

1. Warum hat ein mächtiger Präsident eines riesigen Staates Angst vor drei jungen Frauen, die sich mutig für Demokratie einsetzen? Die drei Frauen sind offensichtlich keine Hexen und keine Terroristinnen. Sie sind sympathisch, weiblich, frech und furchtlos. Pussy Riot verkörpert genau das, was die Welt heute von jungen Menschen braucht: Bildung, Kritik und Engagement für Offenheit und Öffentlichkeit.

Machen Sie von Ihrem präsidialen Begnadigungsrecht Gebrauch und setzen Sie die Strafe per Dekret aus!

2. Die Staaten und die Welt brauchen heute für Überleben und Erfolg mehr Demokratie nach innen und nach außen. Autokratismus und Machismo haben abgedankt. Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst brauchen ein Mindestmaß an Offenheit und Öffentlichkeit. Herrschaft muss Pluralismus akzeptieren, nicht nur aus ethi-schen, vielmehr aus pragmatischen Gründen.

Ermöglichen und sichern Sie Russland die Innovation ermöglichende intellektuelle Kraft des Pluralismus! Hören Sie auf jene Berater, die für Glasnost und Perestrojka eintreten! Zeigen Sie sich statt mit Bildern als Kämpfer mit Bildern als Leser - z. B. von Dostojewskis "Das Gut Stepantschikowo“ oder "Bulgakov“, von dem Pussy Riot gelernt haben, dass "Feigheit eines der größten Laster ist“, und die Welt, dass "Manuskripte nicht brennen“!

3. Das Bündnis zwischen Thron und Altar hat seit der Aufklärung aufgehört, für Thron und Altar nützlich zu sein - von den durch dieses Bündnis betroffenen Bürgerinnen und Bürgern ganz zu schweigen. Ihre alten KGB-Kollegen werden alle diesbezüglichen Reanimierungsversuche genauso wenig schätzen, wie sonst wer. Staaten müssen auf der Seite von Demokratie, Vernunft und Recht stehen, Kirchen dagegen die individuellen Bedürfnisse der Gläubigen befriedigen und verteidigen. Das passt nicht zusammen.

Verzichten Sie auf heilige Allianzen und sichern Sie dafür den unheiligen Kräften der Kritik, der Vernunft und der Öffentlichkeit ihren Spielraum, der letztlich auch das Fundament dafür bietet, dass gläubige Menschen Gott geben können, was Gottes ist.

Der Autor ist Universitätsprofessor an der Universität Wien und an der Universität für Angewandte Kunst

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