Zu ebener Erde und 1. Stock

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Altmeister Robert Altman wandelt in "Gosford Park" auf Agatha Christies Spuren. Eine Mord-Geschichte ist das grandiose Mittel zum Zweck, um von fragilen Beziehungen zweier Gesellschaften zu erzählen, die gemeinsam, aber nicht zusammen leben.

Sonderbar eigentlich, dass Agatha Christie bei einem Film von Robert Altman bislang noch nie Pate gestanden ist.

In ihren Romanen führt die unsterbliche First Lady des Krimis ja immer wieder eine Reihe äußerst britischer Gestalten an einen Ort zusammen, lässt einen Mord geschehen und die Leser dann - erfolglos - raten, wer die Untat begangen hat. Das Tableau, das Dame Agatha in ihren Büchern zu malen pflegte, besteht aus unterschiedlichen Protagonisten, deren Schicksale - oft ohne Wissen der Betroffenen - ineinander verstrickt sind, sodass Motive für einen Mord nur so herumliegen.

Ineinander verworrene Schicksale einer ganzen Gesellschaft - das hat auch Robert Altman immer interessiert.Ein Ensemble von Charakteren zu versammeln und deren Geschichten virtuos miteinander so zu verschränken, dass ein schillerndes Filmgemälde entsteht: Kein zeitgenössischer Regisseur versteht dies so meisterhaft wie der mittlerweile 77-jährige Altman. Ob es um eine entlarvende Hommage an Hollywood geht wie in "The Player" (mit einen atemberaubende 8 Minuten langen Vorspann, der ohne einen einzigen Schnitt auskommt); ob wie in "Short Cuts" zehn völlig unterschiedliche Kurzgeschichten des Schriftstellers Raymond Carver einmalig zu einem Filmganzen verwoben sind; ob wie in "Prêt-à-Porter" eine erkleckliche Zahl von Modeschöpfern und Filmstars sich unter Altmans Hand zum Ensemblekollektiv formt - allein diese drei Beispiele aus den neunziger Jahren zeigen: Vielgeschichtige Filme mit unzähligen Gesichtern stellen das Metier von Robert Altman dar, und im Laufe seiner langen Karriere hat er es auf beinahe jedes Filmgenre angewendet.

In "Gosford Park" ist es eben der Krimi à la Agatha Christie, wovon Altman ausgeht. Doch typisch: Das Genre bildet nur den Vordergrund ab. Denn Altman erzählt im Film gleichzeitig wieder viele Geschichten, die diesmal im fragilen Gleichgewicht zwischen einer morbiden Upper Class, die sich fürs Wochenende auf dem englischen Landsitz "Gosford Park" eingefunden hat, und deren Dienstbotenschaft spielen.

Man schreibt das Jahr 1932. In der zu Jagdzwecken angereisten "Gosford Park"-Gesellschaft existieren zwei Welten symbiotisch und gleichzeitig streng getrennt: Das angestammte Personal und die Diener der Angereisten haben ihren Platz zu ebener Erde; die feine Society residiert im ersten Stock.

Hierzulande hat sich einst Nestroy dieser Konstellation zweier Gesellschaften, die im gleichen Haus, aber nicht miteinander leben, angenommen: Solch wienerische Assoziation erhöht zusätzlich die Neugier, wie Altman diese Spannung auskostet.

Es prickelt, es knistert, es kracht sozial wie sexuell - mit der Grenze, dass die feine wie die gemeine Gesellschaft jeweils unter sich bleibt (verschwiegene Grenzüberschreitungen von oben nach unten sind allenfalls zum Zweck der reinen Triebbefriedigung gestattet). Nur einer der 34 in Gosford Park Versammelten wandert zwischen den Welten: Als sich herausstellt, dass der Diener Henry Denton (dargestellt von Ryan Philippe, einem der beiden US-Schauspieler im Ensemble) sein Lakai-Sein nur vorgetäuscht hat, muss er zu den 14 im ersten Stock übersiedeln; das restliche Personal straft den Einschleicher fortan mit völliger Missachtung.

Altman zeichnet - in der Dramaturgie ebenso wie mit der Kameraführung - minutiös die Beziehungen dieser 34 und geht deren Schicksalen nach. Den als Einzelgestalten wie als Ensemble erstklassigen Darstellern - bis auf zwei alles prominente britische Mimen - gelingt es, die Morbidität dieses Personen- und Beziehungsgeflechts zu vermitteln. Zwischen tragischer Komik und existenzieller Tristesse angesiedelt zeigt "Gosford Park" die beklemmende Atmosphäre Englands in der Endzeit des British Empire. In solch vergangenheitsbezogenem Ambiente wirkt selbst der Snobismus auf der Beletage rührend, zumal dieser schon 1932 sich als arg antiquiert erweist.

Der Mord, dem Gastgeber Sir William McCordle (Michael Gambon) zum Opfer fällt, gehört dann zwar zum (Kriminal-)Spiel, doch die eigentlichen Geschichten, die "Gosford Park" erzählt, handeln von sexueller Ausbeutung, von Kindesraub, von der blassen Hohlheit der Upper Class. Ob des Mordes tritt zwangsläufig die Polizei auf den Plan, ebenfalls in der Herr-Diener-Dualität gezeichnet: Inspector Thompson (Stephen Fry) trägt die tollpatschige Ignoranz der Ersten-Stock-Society zur Schau, der ihm untergebene Constable Dexter (Ron Webster) versteht zwar das Polizeihandwerk, kann sich aber, weil "Lakai", gegen den snobistischen Inspector nicht durchsetzen.

Die detektivischen Ermittlungen erweisen sich so als entbehrlich, und das Verbrechen wird en passant geklärt. Altman, der alte Fuchs, setzt in "Gosford Park" den Instanzen des irdischen Rechts Hörner auf, und er verschafft einigen seiner Protagonisten damit erst recht Gerechtigkeit.

Wer weiß, wie Dame Agatha die Usurpation ihres Genres gefunden hätte ... Unbeschadet davon ist Robert Altman mit "Gosford Park" erneut ein großer Film gelungen.

Gosford Park. USA 2001. Regie: Robert Altman. Mit Kelly Macdonald, Maggie Smith, Michael Gambon, Kristin Scott Thomas, Alan Bates, Ryan Phillipe, Helen Mirren, Eileen Atkins, Stephen Fry. Verleih: UIP. 134 Min.

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