Eurotrash - © Foto: Susanne Hassler-Smith

„Eurotrash“: Verkrachte Reise-Impressionen

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In der österreichischen Erstaufführung von „Eurotrash“ am Akademietheater beeindrucken Barbara Petritsch und Johannes Zirner durch ihr grandioses Spiel.

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In der österreichischen Erstaufführung von „Eurotrash“ am Akademietheater beeindrucken Barbara Petritsch und Johannes Zirner durch ihr grandioses Spiel.

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Einen Roadtrip auf die Bühne zu bringen, ist kein leichtes Unterfangen. Schon gar nicht, wenn es sich dabei um den weitverzweigten Erfolgsroman des einstigen Popliteraten Christian Kracht handelt. Nichtsdestotrotz ist die österreichische Erstaufführung von „Eurotrash“ am Akademietheater bereits die dritte Bearbeitung dieser märchenhaften Abenteuerreise. Ob die aktuelle Adaptionswelle zahlreicher Romanstoffe die Spielpläne der deutschsprachigen Theaterlandschaft bereichert oder einem Mangel an Mut und Innovation entspringt, sei dahingestellt. Tatsächlich überzeugt diese furios in Szene gesetzte Aufführung ebenso wie ihre vielfach bejubelte Vorlage.

Es ist der Bericht einer Reise des Ich-Erzählers Kracht mit seiner senilen Mutter zu teils schmerzlichen, teils erfreulichen Familienstationen quer durch die Schweiz. Realität und Fantasie, Vergangenheitsbewältigung und Poesie werden dabei gekonnt ineinander verwoben und mit ironischen Selbstreflexionen garniert. Regisseur Itay Tiran, der gemeinsam mit Jeroen Versteele auch die Dramatisierung übernahm, versteht es, den Kontrast aus Fakt und Fiktion für die Bühne zu nutzen, und Bühnenbildnerin Nina Wetzel verleiht der Inszenierung mittels charmanter Ausstattungsideen zusätzliche Finesse.

Glitzernde Vorhänge und ein ausladendes Plüschsofa geben einen Eindruck von der mondänen Welt, in der sich einst das Leben der Familie Kracht abspielte. Vom Glanz des alten Europa mit illustrem Bekanntenkreis blieb jedoch nicht viel übrig. Christian (Johannes Zirner) ist auf Besuch bei seiner psychisch kranken Mutter (Barbara Petritsch). Bevor es endgültig in die geschlossene Anstalt geht, soll noch einmal die Welt bereist werden. Mit 600.000 Franken im Plastiksackerl, einigen Beuteln für den künstlichen Darmausgang und einer fahrenden Couch machen sie sich auf den Weg in ein leichtfüßiges Theater-Roadmovie.

Die geniale Bühnenausstattung erinnert an Szenen aus Filmen von David Lynch und Stanley Kubrick. Ebenso die vielen kleinen fast surrealen Momente, wenn etwa der verloren geglaubte Rollator vom ferngesteuerten Spielzeugauto herangekarrt wird, die Mutter in Shining-Manier hinterm Vorhang hervorspringt oder das Sofa von einer Ecke zur nächsten flitzt. Überstrahlt werden diese verspielten Details nur noch von der beeindruckenden Schauspielleistung des Duos Petritsch und Zirner. Es ist ein rasantes Wechselbad der Gefühle, das uns hier präsentiert wird. Hochkomisch die Schreiattacken und Seitenhiebe („Solche Sachen solltest Du mal schreiben, wie Marcel Beyer“), beklemmend, wenn beide ihre Missbrauchserlebnisse teilen. Berührend die liebevollen Gesten und die Freude über die Nähe des anderen. Insgesamt ein zauberhafter Theaterabend mit einer grandiosen One-Man- und One-Woman-Show, bei der die Erzählung zur reinen Nebensache gerät.

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