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VITTORIO DE SICA / NICHT IMMER NUR LÄCHELN

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Wien hatte Besuch, Staatsbesuch im Traum-land, im Vierte Reich der großen Illusionen. Es feierte, geführt von einer unheimlich geschickten Regiehand hinter den Kulissen, ausgiebig und fast romanisch herzlich, so daß es das Opfer selbst ausnahmsweise noch angenehm empfand und ausdrücklich rühmte, eine Filmpersönlichkeit von europäischer Geltung: Vittorio de Sica. In der Natur der Sache, nämlich des Premierenanlasses, mag es gelegen haben, daß dabei das berückende Profil des soignierten, graumelierten Darstellers vortrat und der Riesen-scUatten des neoveristischen Regisseurs von Weltrang, der den des Schauspielers überdauern dürfte, im Hintergrund blieb.

Fürs erste mit Recht. Die Gestalt eines Don Quichote zur See, wie sie der eben aufgeführte Film mit de Sica, „Kanonen-serenade“, vorstellt, ruft ein Dutzend liebenswürdiger skurriler Figuren, Carabinieri, Anwälte, Kapitäne, Schürzenjäger und Schwerenöter in Uniform und in Zivil in Erinnerung, mit denen der Schauspieler de Sica den seit Chevalier verwaisten Thron des Welt-Charmeurs besetzt hat. Mögen die Filme selbst, in denen de Sica nur Schauspieler war, stärker oder schwächer gewesen sein: seine Rolle, sein Spiel waren immer ein Ereignis. Selbst die umstrittene Gattung des Serienfilms erhielt durch de Sica und seine Partnerin in der Reihe „Liebe, Brot und...“ so etwas wie Rechtfertigung. Immer waren diese lächelnden, leise karikierten, mutig selbst selbstpersiflierten Männer de Sicas mehr, als sie schienen, bedeutender, als sie sich gaben, selten nur-komisch, häufig von weiser Resignation, immer aber von einer gütigen, für alles Schwache und Unzulängliche im Menschen verständnisvollen Philosophie. Vittorio de Sica hat nicht nur die äußere Form, sondem auch die innerste Substanz des gängigen Filmstartyps revolutioniert und selbst den modernsten Faust-, Ellenbogen- und

Glatzkopftypen (Brando, Jürgens, Brynner) noch ein Eigenes an Maß und Disziplin entgegengesetzt, eine neuartige noble Mischung von Liebhaber und Charakterdarsteller, die im Film unserer Tage nicht ihresgleichen hat.

De Sica: geboren am 7. Juli 1902 in Sora. Jusstudium. Schmiere, Römische Bühne. Seit 1928 Filmrollen. 1940 aber beginnt sich der Regisseur durchzusetzen. Ein Jahr, nach Rossellinis denkwürdiger „Roma, cittä aperta“, 1946, das daneben noch Zampas „Vivere in pace“ und Rosselinis „Paisä“ bringt, ist mit de Sicas „Sciuscia“ die Grundsteinlegung des Neoverismo vollzogen. Ver sacrum — bitterer Sommer! De Sica sagt heute: Von meinen 14 Regiefilmen waren 13 geschäftliche Mißerfolge. Und darunter sind immerhin die Filme „Ladri di biciclette“, „Mira-colo a Milano“, „Umberto D.“, „Stazioue Termini“, „L'oro di Napoli“ und „II tetto“ (dem fetzt „Um 18 Uhr beginnt das Jüngste Gericht“ folgen soll). So muß der Produzent und Regisseur jeweils zwischen zwei Regiefilmen Rollen spielen, um die Schulden des vorangegangenen Films bezahlen zu können und ein Grundkapital für den nächsten Film anzuhäufen, der so sein soll, wie er will: mit ernstem Thema, in anspruchsvollem Stil und mit dem ganzen Impetus eines brennenden kämpferischen Humanismus, mit Fellinischer Liebe zu den Ungeliebten und Verworfenen, verlassenen Kindern, Obdachlosen, Strolchen und Gescheiterten. Eine große Liebe, eine dauernde schöpferische Regietat, bezahlt mit dem sauer v-erdienten Lächeln des Charmeurs.

Wenn das i:i diesen Tagen zu wenig gefeiert wurfa soV es doch nicht vergrasen sein.

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