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Das abgesagte Jüngste Gericht

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Eine faszinierende Filmidee: Mitten in dem Alltagsgetriebe verkündet eine Stimme von oben plötzlich das bevorstehende „Jüngste Gericht“. In kurzen Zeitabständen wird diese unheimliche Ankündigung wiederholt. Anfangs beachten die Menschen diese Stimme kaum, man hält sie für ein ausgefallenes Reklamemanöver, doch langsam erfaßt die Menschen die Angst, und ein sintflutartiger Regen läßt tatsächlich das nahe Weltende vermuten. Wie reagiert der Mensch von heute auf das bevorstehende „Jüngste Gericht“? Ist er zur Besinnung bereit oder lähmt ihn diese unbegreifliche Tatsache, flüchtet er in Verzweiflung und Hysterie, sucht er in Rauschgift Vergessenheit oder stellt er sich dem höchsten Richter? Noch dringender aber ist die Frage: Wie reagiert er, wenn dieses angekündigte Gericht doch wieder abgesagt und aufgeschoben wird? Wenn ihm noch eine Frist gewährt wird, ändert er sein bisheriges Leben oder setzt er es unbekümmert fort, als ob es ihn nie bedroht hätte, als ob ■ es überhaupt kein Gericht > gäbe? Vittorio de Sica schuf diesen Film, „Das Jüngste Gericht findet nicht statt“, eine alte Lieblingsidee von ihm, um deren Realisierung er jahrelang rang, doch leider muß man bedauern, daß er dieses gewaltige Thema, diese Konfrontation der Menschheit mit den Letzten Dingen dieser Welt nicht in den Griff bekam. Statt einer klarsichtigen Darstellung der verschiedenen Verhaltensweisen der Menschen angesichts dieser bestürzenden Tatsache weicht er in einen hintergründigen Kabarettstil aus, der diesem Thema nicht gerecht werden kann. Er verliert sich in der Fülle der Details, in der Karikatur und in der Skepsis. Er verrät sogar, daß er selbst gar nicht an ein Weltgericht glaubt und noch weniger an eine Besserungsmöglichkeit der Menschen. Glaube und Religion sind für ihn keine geistige Macht, sondern lediglich eine Massensuggestion. Sicher sind manche äußerlichen Erscheinungsformen von kirchlichen Vertretern und religiösen Dingen gerade in südlichen Gegenden voll menschlicher Unzulänglichkeiten, aber deshalb überhaupt auf eine Wertlosigkeit von Religion und Glauben zu schließen, ist unbillig. De Sica hätte auf ein paar belanglose Episoden, die nur der Kuriosität halber angeführt wurden, verzichten können und an deren Stelle Menschen zeigen müssen, die ehrlich erschüttert sind und in deren Innerem sich tatsächlich ein Durchbruch und Aufbruch zu Gott vollzieht. Hier zeigen sich de Sica und sein sozialkritischer, stark linksorientierter Drehbuchautor Cesare Zavat-tini dem Thema nicht mehr gewachsen, denn der Schluß von dem kindlichen Liebespaar, das allein in der aufknospenden Liebe zu einer paradiesischen Seligkeit findet, ist doch zu billig. Wir schätzen Vittorio de Sica als großen Regisseur, dem das Leid der Menschen in der Seele brennt, aber in diesem 1961 hergestellten Film zeigt er eine beklagenswerte Skepsis, die zu überwinden ihm jeder seiner Freunde ehrlichen Herzens nur wünschen kann.

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): II a (Für alle, für Kinder gewisse Vorbehalte): „Bomba und der schwarze Panther“ — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Cesare Borgia“, „Was der Wehrmachtsbericht verschwieg“, „Weiße Nächte“, „Nachts ging das Telephon“ — IV (Für Erwachsene): „Schloß des Schrek-kens“, „Überfall auf Sandoval“ — IV (Für Erwachsene, mit Vorbehalt): „Das Jüngste Gericht findet nicht statt“, „Ein Degen und drei Spitzenhöschen“.

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