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Der Neoverismo ist nicht tot

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Vielleicht lebt er sogar solange, als der Film lebt. Denn immer mehr wird klar, daß der Aufbruch des italienischen Nachkriegsfilmstiles mehr war als ein — aus Krieg und Nachkriegsnot geborenes '— Seufzerlein oder gar ein bloß ästhetischer akuter Anfall, wie etwa der deutsche Bühnennaturälismus der neunziger lahre. Es scheint vielmehr — und das erhärtet in unseren Tagen der gewandelte, unorthodoxe Realismus Fellinis und de Sicas fast noch deutlicher als ehedem der „klassische“ Rossellinis, Zampas & Co. —, daß der Neoverismo einen verschütteten oder gar bis dahin unentdeckten realistischen Urquell des Films freigelegt hat, der fort und fort strömen wird. Das geht so weit, daß wir uns heute den Film vor dem Neoverismo gar nicht recht vorstellen können — und schon gar nicht, was ihn einmal völlig außer Kurs setzen und ablösen könnte. Denn er“ ist die Verwandlung des Kinoauges ins menschliche Auge schlechtweg! Die lebendigste und zeitgemäßeste Betrachtung der Welt, wie sie sich uns anbietet, eine „einfühlende Beobachtung des Bruders im Menschen und eine hoffnungserfüllte Erwartung“ (Stefan Bamberger).

Von der ganzen Rossellini-Schule, die einem durchaus weltlichen polemischen Humanismus verhaftet bleibt, wurzelt nur einer tief im soziologischen Christentum: Federico Fellini, geboren 1920 in Rimini, erst Zirkusclown, dann begabter Karikaturist in Florenz und Rom, ab 1941 Drehbuchautor und Regieassistent von 25 Filmen, schließlich (ab 1951) Regisseur von fünf Filmen, die zum Teil Weltruf erlangten, sagt von sich selbst: „Ich bin ein Produkt des christlichen Milieus. Ich bin typisch italienisch, getränkt von der mediterranen Zivilisation und der westlichen Kultur. Ich kann nicht nichtkatholisch sein.“ Alle Filme Fellinis (1951: „Lo seeieco bianco“, 1953 : „I Vitelloni“, 1954: „La strada“, 1955: „II bidone“), besonders aber der neue „Le notti di Cabiria“ (1957) setzen nicht nur das katholische Gerät, die rituelle Aktion viel präziser als die blassen „Emblemefilme“ als sinnvolles Gleichnis und bedeutungsvoll aufleuchtenden Hintergrund, sie kreisen darüber hinaus um eine ernste religiöse Thematik: die Erlösungsbedürftigkeit und die Heiligung des Menschen; das kann nicht deutlich genug gesagt werden. Denn da sich in Fellinis Filmen die Gnade an dem Menschen im weitoffenen Räume der Erde, verdeckt von konkretester Aktion, von Poesie und Lyrismus und „offenen Schlüssen“, erfüllt, sind der Mann und sein Werk nicht selten auch im katholischen Raum bei oberflächlicher Betrachtung Mißverständnissen ausgesetzt. Gerade aber die naive Sünderin, die Dirne in „Die Nächte der Cabiria“, die, von drei Männern unmenschlich am Herzen mißbraucht, enttäuscht am lauten Getriebe und der Nichterfüllung ihrer eigenen brüsken Bitte auf einer Marienprozession, in der tiefsten Stunde der Verzweiflung dem leisen Ruf einer Tanzmelodie von Fra Angelicoscher „christlicher Fröhlichkeit“ begegnet, beweist das. Fellini selbst sagt, über diesen Schluß: „Die Serenade am Ende ist menschliche und lebenspendende Gnade. Der Film und Cabirias Persönlichkeit schließen nicht aus. --daß'..dies;.Gnade; ' voller Menschlichkeit das VorspieLgnjtSTGnadf ist. Aber das bleibt im Film mit Recht ein Geheimnis Cabirias.“

Das aber führt weit über Gelsominas jammervollen Tod in „La strada“ (die zur Zeit gleichzeitig mit „Die Nächte der Cabiria“ in Wien zu sehen ist) hinaus, der freilich Zampanö das Tor geöffnet hat. Und damit setzen die „Nächte'der Cabiria“ — ein denkwürdiger Film, ein großes, ergreifendes Spiel mit Fellinis Gattin Guilietta Masina — einen weithin sichtbaren Stein am hoffnungsvollen, glanzvollen Weg des Neoverismo und seiner demütigen aller-christlichsten Majestät: Federico Fellini.

„Der Neoverismo ist nicht tot. Er lebt. Komme, was kommen mag: ich bleibe ihm treu.“ Also sprach Vittorio de Sica dieser Tage auf einem Wiener Besuch anläßlich der Premiere der „Kanone n -Serenade“, eines deutschen Films Wolfgang Staudtes von fast unverkrampfter Heiterkeit, von nachdenklicher Lustigmacherei über närrisches Heldentum im Krieg; eines undeutschen Films also — oder gibt es auch im deutschen Film so etwas wie Neoverismo, eine neue, echte, aufrichtige Wirklichkeit?

Dann dürfte man Filme wie „Blitzmädels an die Front“ nur als vereinzelte Rückfälle ansehen. Kein schlechter Film, beileibe! Die Kampf-: aufnahmen klappen. Verdammt noch mal: die klappen! Nicht klappen die pazifistischen Sprüche und Sprücherln. Man hört sie — die Grammatik stimmt, die Syntax stimmt, und trotzdem klingt ein jeder Satz falsch. Es ist ein Helmut-Kirst-Film. Und der Mann hat sich eben seinen eigenen Neoverismo zurechtgelegt. Und der ist nicht neu. Der ist nicht tot. Auch der lebt. Leider.

F i 1 m s c h a u (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nrn. 33 und 34/195 vom 16. und 23. August: II (Für alle zulässig): „Tom-und-Terry-Cine-Maus-Cope“, „Zirkuskinder“ — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Hoppla, jetzt kommt Eddie!“, „Die Spionin von Gibraltar“. „Falsches Geld und echte Kurven“, „Kanonenserenade“ — IV (Für Erwachsene): „Dem Adler gleich“, „Er ging an meiner Seite“, „Insel der Verheißung“, „Meine Frau macht Musik“, „Ueberau lauert der Tod“, „Arena der Cowboys“, „Glut unter der Asche“, „Die Nächte der Cabiria“ — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Sumpf des Unheils“, „Gestehen Sie, Dr. Corda!“, „Ist Mama nicht fabelhaft?“ - IVb (Für Erwachsene mit ernstem Vorbehalt): „Der Geier von Arizona“ — V (Abzuraten): „Weiße Fracht aui Paris.“

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