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Und dann ging die Welt in Trümmer...

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... sagt der Film der japanischen Lehrerunion, „Hiroshima“, an der Stelle, wo dem hellen Morgen des 6. August 1945 die wörtliche und sinnbildliche Finsternis des Abwurfs der ersten Atombombe folgte. Die Erde begann mit dem Licht und der. Erschaffung des Menschen: ihr Atomzeitalter hebt mit der Finsternis und dem Tod und Siechtum der Kreatur 'an. Für die Bewohner von Hiroshima aber war es nicht einmal ein qualvoller Anbeginn, für sie ging tatsächlich eine Welt in Trümmer. Wenn der Film dies am Schicksal zweier Familien erweist, deren eine völlig ausgerottet wird, während sich aus der anderen nur ein vergreister junger Skeptiker in die „neue Zeit“ rettet, so steht dies als Zeichen für zehntausende gleicher Schicksale von Japanern und die Gedanken von Millionen Menschen in aller Welt.

Der Film hat Schwächen, ohne Zweifel. Die Rahmenhandlung vom Anfang hat keinen Abschluß, die beiden Familiengeschichten sind unklar ineinandergeschachtelt, und der vom Thema unbedingt geforderte Realismus rutscht bisweilen in pathetische Operngesten und hymnische Chöre ab. Dies kann dem starken Eindruck des Films nicht wesentlich Abbruch tun. Daß die nervenzermürbenden Szenen vom Untergang der Stadt immer noch hinter unseren quälenden Vorstellungen — und wohl auch hinter der Wirklichkeit — zurückbleiben, kann dem Film kaum angelastet werden. Retlo überzeugend ist er im winzigen gegenständlichen Detail, so dem Namensaufruf des verschütteten Lehrers an die von Balken verklemmten, zerquetschten und zerspießten Kinder, dem Autoritätsänfall des irrsinnigen „General“, der trügerischen Hoffnung auf die wieder sprießenden Grashalme u. ., vor allem aber in der illusionslosen Darstellung der psychologischen Nach-piele: der betriebsam geförderten Fremdenverkehrsattraktion, dem abgebrühten „Schleich“ der Halb-tarken mit echten Tetenschädeln (und den menschlichen Restgefühlen der Besatzung) und schließlieh dem zweifelnden Aufschrei eines jungen Menschen, auf den die Erzieher nur mit. einem bezeichnenden Verstummen antworten können.

Der Film entläßt uns trotzdem nicht ohne Hoffnung. Aber es ist eine Tagik, daß er wahrscheinlich nur Bekehrte bekehren wird.

Denn ts gibt noch keine Pflichtvorführung für Staatsmänner, Drahtzieher und Verdiener am Leichendunst von Millionen. Es gibt nur das Vertrauen auf uns elber und jenen demutsvollen Kreuzesaufblick, mit dem der'Film schließt.

Und es kann nur einen, diesen Atombombe f,'m geben. Der Film vom nächsten Abwurf würde vor leerem Hause stattfinden.

Die traurige, erstmals aber im Neoverisrno nicht hoffnungslose Kleine-Leut-Ballade „La S t r a d a“, die an dieser Stelle kürzlich schon ausführlich gewürdigt wurde, ist nun nach Wien gekommen; ihre schlichte, ergreifende Schönheit, eines der 6ieben Weltwunder der Filmgeschichte, beherrscht mit „Hiroshima“ souverän eine Filmwoche, die auch sonst Ueberdurchschnittliches zu bieten hat.

„Lieb e“ _ etwa, den deutsehen Maria-Schell-Film, der beherzt einige ätzende Schärfen der Roman vorläge (Vicky Baum; „Vor Rehen wird gewarnt“) ausmerzt und Liebe nicht als selbstsüchtige, männermordende Kaprice, sondern als Jugendschwärmerei, die zum Lebensschicksal wird, darstellt; nicht ganz fehlerfrei, aber stellenweise sehr locker, da und dort ergreifend.

Amerika ist mit einem sauber gelösten Bruderstreit, „Gefangene des Stroms“, und einer kapriziösen psychoanalytischen Seminararbeit, „D i e Verlorenen“, intensiver vertreten als Frankreich mit einem etwas lendenlahmen Kriminalthriller „Gas-Oil“, dem' nur Jean Gabin da und dort Kontur gibt.

Italien steuert neben „La Strada“ noch ein burleskes Feuilleton in sechs Absätzen über das unsterbliche Thema Liebe bei. F,s kuschelt sieh, wohl nur, um da und dort ohne Gefahr noch ein bißchen anzüglicher werden zu können, in altes Kostüm und nennt sich daher augenzwinkernd ,,A 11 r i tempi“. Dabei stand seinem Schöpfer Alessandro Blasetti Charme genug zur Verfügung, daß er ruhig darauf hätte verzichten können, vereinzelt auch zotig und religiös blasphemisch zu werden. Gerade darob aber schrie und jauchzte das Premierenpublikum. Man sagt weiter nördlich in solehem Falle: Dem Affen wurde Zucker gegeben.

Filmschau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Oesterreich), Nr. 42' vom 27. Oktober 19 56: III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Die Dame des Königs'' — IV (Für Erwachsene): „Hiroshima“, „Heute heiratet mein Mann“, ,,Die Verlorenen“ — IVa (Für Erwachsene mit Vorbehalt): „Gas-Oil“ — IVb (Für Erwachsene mit erftstem Vorbehalt): „Das waren noch Zeiten“ („Altri tempi“).

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