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Poetisches Wagnis

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In Nr. 7/1961 erschien auf der Filmsonderseite der „Furche“ ein ganzseitiger, illustrierter Bericht unseres schwedischen Korrespondenten über Ingmar Bergmans Film „Die Jungfrauenquell e“. Der Film dürfte schon nächste Woche in Wien anlaufen und hier vermutlich alle Wege zwischen Himmel und Hölle der Beurteilung gehen müssen wie anderswo (eine verdienstvolle Sonderveranstaltung des Verbandes der Filmjournalisten mit Diskussion gab noch vor Ostern den Startschuß dazu). Der Stoff ist eine frei gestaltete mittelalterliche Legende, von der sich Spuren auch in einer Novelle der Lagerlöf und ihrer Dramatisierung durch Gerhart Hauptmann finden: der Rachemord eines Gutsherrn an den Lustmördern seiner Tochter, seine Reue und seine Begnadigung durch ein wunderbares Zeichen vom Hirtiwel, das dew Filw den Titel gegeben hat. Nie noch war Berg-wans „poetischer Naturaliswus“ so ausgeprägt wie hier. Brutale Szenen (in der Wiener Kopie anscheinend etwas gewildert) wechseln (ohne Stilbruch I) wit tiefen dichterischen Gleichnissen und Bilders- christliche Mission liegt iw Kampf mit wächtigen urheidnischen Unter-ströwungen, in jedew Augenblick klar aber ist die Position von Gut und Böse, Schuld und Sühne. Vielleicht ist der Schockfilw nicht als religiös iw engeren Sinne anzusprechen, über allew Zweifel erhaben aber ist die lautere Absicht und christliche Grundhaltung seines Schöpfers, neben Fellini des stärksten Filmpoeten unserer Tage.

Nicht sehr Österlich-Festliches wird, soweit es bisher zu überblicken ist, nach einer jüngeren Tradition der Wiener Lichtspieltheater auch heuer wieder der Wiener Kinobesucher im Programm finden.

Die große Enttäuschung ist der Jennifer-Jones-Film „Zärtlich ist die Nacht“, die Geschichte eines Psychiaters und seiner Patientin, die in der nachfolgenden Ehe auf quälende Weise die Rollen tauschen, ein psychologischer Krampf, für den der ungebührlich langatmige Film am Ende keine andere Lösung als die Scheidung und Liierung der Frau mit einem neuen Partner weiß. Was sagt die Psychiatrie zu solcher „Heilung“?

Aber auch Italiens Lustspielbombe, Alberto Sordi, geht diesmal nicht los. „Der Windhund von Venedig“, eine Art Dekamerone des Gondoliere, schaukelt müde von Episode zu Episode; dem Ganzen fehlt das flotte Ruder. In die Geschichte von Gemäldediebstählen. „Rendezvous in Madrid“, die offensichtlich ein lockereres Grundkonzept gehabt hat, purzeln leider Leichen auf dem Fließband und morden noch als solche den Komödienton. Gleich ganz auf Grauen und Gruseln hat Georges Franju seine „Mitternachtsmörder“ angelegt; hier wieder pfropft der ehrgeizige Regisseur mystische Ambitionen auf, die dem Stoff nicht zustehen. Der anscheinend erfreulichste Film der Woche, die Komödie „Die unteren Zehntausend“, hat den Kritiker leider nicht mehr erreicht.

Wieder einmal springen Reprisen in die Bresche. Wolfgang Staudtes ..Die Mörder sind unter uns“ nimmt im Stellenwert, nicht im Stoff, die gleiche Position ein wie nach dem ersten Weltkrieg Remarques „Im Westen nichts Neue s“. Ehrlicheres und Gekonnteres ist beiden nicht mehr gefolgt. Auch Michael Curtis, der noch unter seinem ungarischen Namen Kertesz in Wien ge-' lernt hat und dieser Tage in Hollywood verstorben ist, hat sein mehr als 20 Jahre altes Meisterstück ,.S e e f a 1 k e“ nicht mehr übertroffen. Der Film hat die Karriere Errol Flynns und eine Abenteuergattung grundgelegt. Auf seinem Fundament bauen Söhne und Enkel wackelige Häuser. Beide Wiederaufführungen sind zu begrüßen — wenigstens als österliche Gewissenserforschung für den Film (beichten geht er ja nicht).

Film schau (Gutachten der Katholischen Filmkommission für Österreich): II (Für alle): „Der Adler vom Matterhorn“. — III (Für Erwachsene und reifere Jugend): „Die unteren Zehntausend“. „Der Außenseiter“. — IV (Für Erwachsene): „Die Mörder sind unter uns“, „Rendezvous in Madrid“. — IVa CFür Erwachsene, mit Vorbehalt): „Gefährliche Reise“. — VI (Abzulehnen): „Da lacht die Gänsehaut“. — = sehenswert.

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