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VOM TEE

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„Ist das Kaffee oder Tee?“ fragte ich den Chinesen, der mir die Tasse reichte.

„Tea or coffee?"wiederholte er gedankenlos. „Tea, tea“ murmelte er, nachdem er begriffen hatte.

„Nicht möglich! Warum ist er so schwarz?“ Ich versuchte das Getränk. In der Tat, es war die gleiche Mixtur, die ich in London und später in Kapstadt als Tee genossen hatte. Dort war es verzeihlich gewesen, aber in China — solchen Tee, von einem Chinesen zubereitet und gereicht?

Gibt es denn in Schanghai keinen guten Tee? Wieso nicht? Hier gibt es jeden Tee, der in China wächst. Aber die Betonung liegt auf dem Wort „gut“! Gut nennen wir die zarten, duftenden Teeblüten. Nicht jede Nase und Zunge spürt das Aroma und Bouquet dieses Tees: er ist zu fein. Diese Teesorten heißen hier Pekoe flower. Guten Tee oder einfach Tee (bei ihnen gibt es nur einen) nennen die Engländer eine besondere Sorte groben, schwarzen Tees oder ein Gemisch, das aufdringlich schmeckt und Zunge und Gaumen ätzt wie fast alles, was die Engländer essen und trinken. Wenn es nach ihnen ginge, würden sie den Speisen sogar Borsten zusetzen, nur damit es recht in der Gurgel juckt. Und vom Tee verlangen sie dasselbe wie vom indischen Soja oder Pfeffer, das heißt, etwas in Art von Gift Dabei reden sie auch noch schlecht von uns, weil wir keinen Tee, sondern einen Aufguß von Jasminblüten tränken.

Das mag zurückweisen, wem’s beliebt, ich überlasse es ihm. Die Engländer sind in gastronomischer Hinsicht keine Autorität. Ich bemerke nur, daß einige Gourmets in China sich tatsächlich Blüten oder irgendwelche duftenden Kräuter in den Tee tun. In Japan fügt man dem Tee zuweilen eine Nelke bei. Vater Joaknif spricht auch von einer ähnlichen gesetzwidrigen Beimischung, welche die Chinesen zulassen, indem sie in den schwarzen Tee Jasmin- und in den gelben Rosenblätter legen. Aber da handelt es sich bereits um den überfeinerten Geschmack der Chinesen selbst um eine Folge von Übersättigung. Es gibt auch bei uns Leute, die Tabak mit Bergamotte oder Reseda schnupfen, Hering mit Dörrpflaumen essen usw. Die Engländer aber trinken ihren schwarzen Tee und wollen nicht wissen, daß der Tee seine weißen Blüten hat.

Bei uns ist der Genuß von Tee ein selbstständiges, unumgängliches Bedürfnis. Für die Engländer ist er jedoch eine Nebensache, eine Ergänzung des Frühstücks, fast eine Art Verdauungshilfe. Darum ist es ihnen gleich, ob der Tee wie Porter oder Schildkrötensuppe schmeckt, wenn er nur schwarz und dick ist, die Zunge zwickt und keinem anderen Tee ähnelt. Die Amerikaner trinken nur grünen Tee ohne jede Zutat. Wir wundern uns über diesen barbarischen Geschmack. Die Engländer hingegen spotten, daß wir unter dem Namen Tee einen faden, süßen Aufguß trinken. Die Chinesen selbst trinken, wie ich gesehen habe, einfachen, groben Tee, das heißt die einfachen Chinesen, das Volk. In Peking bevorzugen die besseren Leute, wie mir Vater Awwakum sagt, nur gelben Tee, natürlich ohne Zucker. Aber ich bin ein Russe und gehöre zu der riesigen Zahl von Verbrauchern, die das Gebiet von Kjachta bis zum Finnischen Meerbusen bevölkern, ich bin für Pekoe flower. Laßt uns nicht Tee mit Blüten, sondern Blütentee trinken, und warten wir ab, bis die Engländer auf das Gespür und den Geschmack kommen und sich die Fähigkeit erarbeiten, sich an Pekoe flower zu delektieren, und außerdem Tee brühen, aber nicht — wie es bei ihnen der Brauch ist — wie Kohl kochen.

Übrigens muß man allen Nationen verzeihen, die nicht die Fähigkeit besitzen, sich an gutem Tee zu erfreuen. Was eine Tasse Tee bedeutet, weiß man erst, wenn man bei klirrender dreißiggradiger Kälte in ein warmes Zimmer kommt und sich an den Samowar setzt. Dann erst kann man den Wert des Tees würdigen. Mit welchem Genuß haben wir den Tee getrunken, den uns Kapitän Furugeljm nach Nagasaki brachte. Der Kasten kostete 16 spanische Taler. Er enthielt rund 70 russische Pfund. Das war ein Tee! Bei uns würde er für nicht weniger als fünf Silberrubel je Pfund verkauft werden.

(Aus „Briefe von meiner Weltreise" von Iwan Gontscharow, herausgegeben und übersetzt von Erich Küller-Kamp. Copyright Nymphenburger Verlagshandlung — Verlag Heinrich Ellermann.)

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