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CHANCEN NUR NOCH FÜR FLEXIBLE

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Obwohl die Geisteswissenschaftler ihre Berufsaussichten als ungünstig einschätzen, hält der Andrang an. Flexible Absolventen brauchen keine allzugroße Angst zu haben. Den anderen winkt ein vielzitierter Trostpreis: Innere Bereicherung durch Studium und Bildung.

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Obwohl die Geisteswissenschaftler ihre Berufsaussichten als ungünstig einschätzen, hält der Andrang an. Flexible Absolventen brauchen keine allzugroße Angst zu haben. Den anderen winkt ein vielzitierter Trostpreis: Innere Bereicherung durch Studium und Bildung.

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Raoul Kneucker, Experte des Club of Rome, sieht einen hohen Bedarf an Geisteswissenschaftlern auf unsere von Technik und Naturwissenschaften geprägte Gesellschaft zukommen (siehe Seite 13). Der Flaschenhals ist aber noch einige Jahre lang.

FURCHE: Sie zeichnen ein rosiges Bild von der Zukunft der Geisteswissenschaften, aber wie ist die Situation jetzt und hier für die Studienabgänger?

RAOUL KNEUCKER: Die Realität ist wie immer ungefähr zehn Jahre hinter den heute für die Wissenschaft klaren Herausforderungen zurück.

FURCHE: Muß man das hinnehmen? Die Frustration ist sehr groß.

KNEUCKER: Ich würde mir wünschen, daß die Forscher, die heute an vorderster Front tätig sind, so schnell wie möglich über Diplomarbeiten, Projekte und Dissertationen die jungen Leute mit einbeziehen. Ich fürchte, daß ein Teil der Resignation in den Geisteswissenschaften auch damit zusammenhängt, daß diejungen Leute die Kluft zwischen den für sie vielleicht klaren, wenn auch nicht artikulierten Herausforderungen und der Realität des Unterrichts immer schlechter vertragen.

FURCHE: Ihre Hauptprobleme liegen auf dem Arbeitsmarkt.

KNEUCKER: Die Sozialwissenschaften und einige geisteswissenschaftliche Fächer waren sehr überlaufen. Auf der anderen Seite gab es immer Fächer, in denen mehr Leute ausgebildet wurden, als der Arbeitsmarkt aufnehmen konnte. Diese Absolventen bestimmen heute eine Art Lebensgefühl in den Geisteswissenschaften, weil sie die Härte des Arbeitsmarktes spüren. Das will ich nicht verniedlichen, viele sind unter ihrem Wert oder überhaupt nicht einschlägig tätig.

FURCHE: Und was sollen sie tun ?

KNEUCKER: Die Geistes- und Sozialwissenschaften hatten aufgrund ihrer aufklärerischen Tätigkeit immer den Charakter einer Allgemeinbildung, die für viele Berufsverwendungen befähigt. Das sollte man eher positiv sehen als negativ. Man soll sie nicht nur unter dem Gesichtspunkt konkreter Berufsbilder sehen, das war in der Geschichte nie so und entspricht auch nicht diesen Fächern.

FURCHE: Sehen es auch die Absolventen so?

KNEUCKER: Wir unterliegen einem generellen Wandel der Berufsbilder. Das wird in den kommenden 15 Jahren so weitergehen wie in den letzten 15 Jahren, doch wird die Zukunft auch enorme neue Möglichkeiten bieten. Außerdem gehen wir in den mittleren und späteren neunziger Jahren einer demographisch verursachten Lücke von Arbeitskräften entgegen, wir werden zuwenig Techniker und Naturwissenschaftler haben, um die gegenwärtigen Arbeitsplätze zu besetzen, und wir werden auch in einigen neuen Berufsverwendungen von Geistes- und Sozialwissenschaftlern zuwenig oder gar keine qualifizierten Leute haben.

FURCHE: Heute Studierende - bitte warten... ?

KNEUCKER: Sie sollten sich unter dem Gesichtspunkt der in vier, fünf Jahren zu erwartenden Änderungen der Arbeitsmarktlage neu orientieren. Das setzt voraus, daß nicht nur Studenten, sondern auch Lehrer und Eltern eine gewisse Lockerheit und Flexibilität an den Tag legen und eher von den Stärken, die man in einem Studium gewinnt, als von konkreten Berufsbildern ausgehen.

FURCHE: Viel verlangt!

KNEUCKER: Diese Generation wird erleben, daß das Studium in der Regel nur für die erste Berufsverwendung vorbereitet, während wir im Lauf unseres Lebens zwei oder drei Berufsverwendungen haben werden. Schon heute zeigt sich, daß viele Menschen innerhaltyihres Berufsfeldes im Lauf der Zeit grundsätzlich verschiedene Aufgaben erfüllen.

FURCHE: Auch die Geisteswissenschaftler7

KNEUCKER: Auch ihr Studium wird mehr Auf baucharakter haben und später fortgesetzt werden müssen, wird immer wieder Beiträge größerer oder kleiner Art zu neuen Berufsverwendungen leisten.

FURCHE: Und die Lehrer...?

KNEUCKER: Ich glaube, daß die Lehrer Gefahr laufen, weitgehend in einer Art von Berufsverwendung zu bleiben. Das hat auch Rückwirkungen auf die Lehramtskandidaten, die sich, sobald sie nicht im Lehramt unterkamen, als Arbeitslose gefühlt haben, statt ihre Stärken auszuspielen und eine andere Berufsverwendung anzustreben.

FURCHE: Wird die EG auch den Geisteswissenschaftlern etwas bringen?

KNEUCKER: Wir wissen heute, daß durch den bevorstehenden europäischen Wirtschaftsraum für Österreicher rund 50.000 neue Arbeitsplätze entstehen werden. Dies abgesehen von der zunehmenden Mobilität, die auch für die Geistes- und Sozialwissenschaftler sehr große Entwicklungsmöglichkeiten bedeuten wird.

FURCHE: Vorausgesetzt, sie sind mobil und anpassungsfähig?

KNEUCKER: Für nicht mobile Menschen könnte es noch schwerer werden, als es heute ist. Aber bei einer Flexibilisierung des Bewußtseins wird sich für die von den derzeitigen Arbeitsmarktproblemen Betroffenen schon in den nächsten Jahren eine ganz andere Arbeitsmarktlage ergeben.

Mit Raoul Kneucker sprach Hellmut Butterweck.

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