6899436-1980_22_10.jpg
Digital In Arbeit

Lernen oder untergehen?

Werbung
Werbung
Werbung

„Bildung ist zu ernst, um sie den Fachleuten zu überlassen.” Mit dieser Abwandlung des Satzes „Der Krieg ist zu ernst, um ihn den Generälen zu überlassen” unterstreicht Raoul Kneucker, Generalsekretär des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, daß es hoch an der Zeit ist, sich umfassend mit dem Begriff Bildung und allem, was dazu gehört, zu befassen, sollen die gegenwärtigen Weltprobleme bewältigt werden.

Kneucker hat sich eingehend mit dem sechsten Bericht an den Klub von Rom beschäftigt und dessen notwendige Konsequenzen in mehreren Vorträgen aufzuzeigen versucht. Dieser Bericht kreist um das Thema Bildung und trägt im Deutschen den vielsagenden Titel „Das menschliche Dilemma”. Unter diesem Titel steht auch eine Veranstaltung im sieirischen Bildungshaus Retzhof am kommenden Wochenende, bei der neben Kneucker unter anderen auch Abg. z. NR Josef Maderner (SPÖ) referieren wird.

Die Autoren des Berichts sind der an der Harvard-Universität mit Lehrerausbildungsfragen befaßte Amerikaner James W. Botkin, der marokkanische Ökonom und frühere hohe UNO-Beamte Mahdi Elmandjra und der rumänische Mathematiker und ehemalige Erziehungsminister Mircea Ma-litza. Eine gute und notwendige Kombination, denn es geht ebenso um Nord-Süd-Probleme wie um Ost-West-Fragen. Es geht, wie Raoul Kneucker meint, um „eine Art neuen Sozialkontrakt für die Menschheit überhaupt”, und zwar müßte dieser Kontrakt zur Bewältigung der Zukunftsprobleme, zur Abwehr der drohenden Katastrophe dienen.

Der neue Bildungsansatz des Klubs von Rom will die gesamte Weltproblematik einschließen. Mit dieser umfassenden Zielsetzung sollen andere Zielsetzungen nicht verdrängt werden, aber diese Zielsetzung der Bildung soll nicht neben, sondern vor den anderen Zielseizungen stehen.

Es geht auch nicht darum, die gesamte Pädagogik umzukrempeln, schon deshalb, weil Bildung in diesem Sinn weit überdie Institution Schulehinausweist. Während bisher Bildung in erster Linie auf Kognition und Intellekt abgestimmt war, sollen nun auch Emotion und Willenskräfte einbezogen werden. Es geht auch darum, ein Wertemp-finden zu schaffen, denn - so Kneucker - man habe erkannt, daß ein besseres Völkerrecht, bessere Energiemethoden und andere organisatorische Verbesserungen allein die Probleme nicht lösen werden.

Wie sagte doch Erich Fromm: „Zum ersten Mal in der Geschichte hängt das physische Uberleben des Menschen von einer radikalen Veränderung des Herzens ab”. Der Klub von Rom ist nach Ansätzen in früheren Berichten nun zu einem ähnlichen Schluß gekommen.

Schlüsselbegriffe der Bildung in diesem neuen Sinn sind für Kneucker Antizipation und Partizipation.

War der Mensch bisher darauf ausgerichtet, aufgrund gemachter Erfahrungen zu lernen, müsse er nun lernen, antizipatorisch Probleme zu erkennen, bevor sie eintreten bzw. brennend geworden sind. Zu diesem Zweck müßte die Bildung mehr als bisher Kreativität und Phantasie anregen.

Ferner soll niemand von dieser Bildung ausgeschlossen sein. Man muß lernen, daß lokale Entscheidungen, etwa zum Abholzen der Urwälder Südamerikas, weltweite Probleme nach sich ziehen können. Bildung sollte insofern partizipatorisch sein, daß sie den Menschen zu Solidarität in Raum und Zeit bringt, weil alle Menschen die gleiche Berechtigung und die gleiche Verpflichtung zur Mitentscheidung haben.

Was hier der Klub von Rom vorschlägt, ist keine Korrektur im Sinne von etwas mehr oder etwas anderem, weil es eben mit weiterem Wissen allein nicht getan ist, sondern eine grundsätzliche weltweite Auseinandersetzung mit der Frage einer Bildung, die den Menschen in die Lage versetzt, die Weltsituation zu erkennen und zu meistern.

Kann Bildung die menschliche Zukunft sichern? Diese Frage hat Raoul Kneucker selbst im Titel eines seiner Vorträge gestellt. Seine Antwort mündet in eine Gegenfrage: „Nein - aber haben wir eine andere Hoffnung?”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung