Frühling für die Bildung, die vieles ist

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Mit einem Symposium zum Thema Bildung feierte das Internationale Forschungszentrum (ifz) in Salzburg seinen 50-jährigen Bestand - und zeigte, worum es bei Bildung tatsächlich geht.

"Wer nicht bei Verstand ist, ist nicht ganz …? A: dünn B: dicht C: dick D: durch. (2) Wenn Nudeln bissfest gekocht sind, dann sind sie … ? A: in memoriam B: ante portas C: al dente D: in silenzio (3) Wer schrieb "Der Schatz im Silbersee“? A: Karl Farkas B: Karl Kraus C: Karl Marx D: Karl May ...“ - So weit die Fragen bzw. die möglichen Antworten bei einer Millionenshow im ORF. Jürgen Habermas hat lange Zeit vor der derzeitigen Flut und Beliebtheit der Fernsehsendungen vom "Quiz-Ideal“ der Bildung gesprochen. "Das Wissen derer, die in der Millionenshow Runde für Runde weiterkommen, ist teilweise das, was landläufig als ‚solide klassische Bildung‘ durchgeht.“ Diese bedenkenswerten Worte standen am Beginn des Festvortrags von Bischof Manfred Scheurer, der eine zunehmende Ökonomisierung der Bildung feststellte - und einen Verlust an Orientierungswissen, das sich auch mit Fragen von Geschichte, Gedächtnis und Sinn beschäftigt.

Ein intellektuelles Gästehaus

Anlass der Rede war der Festakt einer Institution, die sich auf ihre Weise um Bildung bemüht. Am 16. März 2012 feierte das Internationale Forschungszentrum für soziale und ethische Fragen (ifz) an einem Frühlingstag seinen 50. Geburtstag mit einem Festakt auf dem Mönchsberg. Ursprünglich als katholische Denkwerkstatt konzipiert, ist das ifz heute ein "intellektuelles Gästehaus“, das Menschen Orte der Begegnung und einen Raum für ruhiges Arbeiten bieten will. Das hat mehr mit Bildung zu tun, als man meint. Eine kolumbianische Gastwissenschafterin beschrieb ihre Zeit am ifz als "eine sehr ruhige und schöne Zeit für mich, in der ich die Freiheit und Ruhe hatte, mich mit wichtigen Fragen zu beschäftigen“. Bildung braucht Räume der Ruhe.

In diesem ifz-Symposium über Auftrag und Ertrag von Bildung wurden solche Fragen besprochen. Jesuitenpater Martin Maier SJ arbeitete das Bildungsideal des langjährigen Generaloberen der Jesuiten, Pedro Arrupe, heraus: Es gehe darum, "Menschen für andere“ zu formen. Das ist Bildung - ein Prozess, der Menschen über sich hinausblicken lässt. Bildungsprozesse lassen Abhängigkeit, Verwundbarkeit und die Zerbrechlichkeit menschlicher Angelegenheiten erkennen. Das bringt einen Sinn für Demut und einen Sinn für andere mit sich.

Die amerikanische Philosophin Martha Nussbaum hatte für ihren Beitrag zur Bildungsdebatte den vielsagenden Titel "Cultivating Humanity“ gewählt und Bildung als die Fähigkeit verstanden, "ein geprüftes Leben zu führen“ und in Begriffen der Menschheitsfamilie zu denken und sich selbst als Teil dieser Familie zu sehen; schließlich habe Bildung auch mit der Fähigkeit zu tun, sich Dinge anders vorzustellen, als sie sind. Dieser "Möglichkeitssinn“, wie Robert Musil sagen würde, ist entscheidend für den gebildeten Menschen. Darum sollen wir auch nicht aufgeben, uns "eine Welt ohne Armut“ vorzustellen.

Das angesprochene Symposium über Bildung wurde unter einen Gedanken von Dietrich Bonhoeffer gestellt: "Bildung, die in der Krise scheitert, ist keine Bildung“. Das ursprüngliche Wort hatte Bonhoeffer in einem Brief vom 23. Jänner 1944 an Renate und Eberhard Bethge notiert. Bonhoeffer sitzt zu diesem Zeitpunkt seit fast einem Jahr im Gefängnis, die Hoffnung auf rasche Befreiung ist geschwunden, die Ungewissheit wächst, auch die Angst vor tödlichem Ausgang. In dieser Situation notiert Bonhoeffer: "Klar ist mir … nur, daß eine ‚Bildung‘, die in der Gefahr versagt, keine ist. Bildung muß der Gefahr und dem Tod gegenübertreten können.“ Anders gesagt: Bildung bereitet den Menschen auf das Leben im Guten vor, und auf die Kraft, am Guten trotz Widrigkeiten festzuhalten. Angesichts von Gerechtigkeitskrisen, Wirtschaftskrise, Klimakrise und Integritätskrisen ist dieses Wort prophetisch auch für die Bildungsdebatte, wie wir sie (nicht) führen. Bonhoeffer suchte in der Zeit im Gefängnis den "Weg nach innen“, beschäftigte sich mit Denken und Nachdenken, las Stifter und arbeitete an einer "Ethik“. Bonhoeffer erinnerte daran, dass Bildung vor allem mit zwei Gesichtspunkten zu tun habe - einerseits mit Kohärenz: Bildung führt dazu, Dinge zusammenbringen und eine Lebenseinheit erzielen zu können (Alfred Delp hat in ähnlicher Situation gesagt: "Das Leben hat ein Thema bekommen.“); andererseits Polyphonie: Bildung führt dazu, dass das Leben vielgestaltig und tief bleibt, sich eine Polyphonie erhält. Bonhoeffer verwendet in seinen Schriften und Briefen aus dem Gefängnis mehrfach das Bild von der Polyphonie des Lebens, mit Schmerz und Freude, mit allen seinen Seiten. Es ist eine Kunst, auch in sehr schweren Situationen diese Polyphonie aufrecht zu erhalten; man mag an Ingrid Betancourt denken, die in ihrer Geiselhaft darauf bestanden hat, eine Schweigeminute für getötete Mitgefangene abzuhalten, um einen "Sinn von Würde“ zu wahren.

Tragische Ironie der Bildungsdebatte

Bildung, die in der Krise scheitert, ist diesen Namen nicht wert. Angesichts der Gerechtigkeitskrise, Klimakrise, Korruptionskrise und Wirtschaftskrise stoßen wir auf den Grundauftrag von Bildung, Menschen zusammenzuführen und auf schwierige Zeiten vorzubereiten. Wenn man sich die Diskurse unserer Zeit anschaut, dann zeigt sich, dass sich zwei Grundfragen herausgebildet haben: Wie viel kostet das? Und: Wer bezahlt das? Nennen wir diese Fragen die Kostenfrage und die Zahlfrage; man macht uns weis, dass eine Katastrophe ihren Schrecken verliert, wenn Kosten- und Zahlfrage geklärt sind. Wenn nach einem Unfall ausgehandelt ist, wer die Kosten in bestimmbarer und bestimmter Höhe übernimmt, gilt die Unfallsituation als geklärt und abgeschlossen. Angesichts der erwähnten Krisen ist freilich klar, dass diese beiden Fragen an Grenzen stoßen. In den entscheidenden Fällen kann Geld nicht mehr helfen; ich kenne eine Frau, die ihre Tochter bei der Brandkatastrophe der Gletscherbahn von Kaprun im Jahr 2000 verloren hat. Sie weiß, dass keine wie auch immer geartete Schmerzensgeldzahlung den Schmerz zum Verschwinden bringen kann. Hier geht es nicht um die Frage "Wie viel kostet das?“. In einem ähnlichen Sinne erreichen wir Grenzen des Bezahlbaren und Bezifferbaren angesichts einer nuklearen Katastrophe oder auch angesichts des Umstands, dass wir dabei sind, eine ganze Generation um Lebenschancen zu betrügen.

Deutlich gesagt: Wenn die Welt aufgrund nuklearer Verseuchung unbewohnbar geworden ist (ein Szenario, das Michael Frayn in seiner Dystopie "A Very Private Life“ von 1968 beschrieben hat), ist die Frage "Wer soll denn das bezahlen?“ hinfällig geworden. Fukushima stellt sich jenseits der Kosten- und der Zahlfrage. So gesehen könnte man Bildung wesentlich als einen Prozess sehen, der an die Grenzen des Geldes führt. Bildung ist mehr als "Ausbildung“; Bildung ist auch etwas anderes als "Bildungsbescheinigungen“ und "Ausbildungsscheine“.

Die tragische Ironie der gegenwärtigen Bildungsdebatte hat dann gerade damit zu tun, dass die Politik, die den Diskurs treibt, vor allem eine monetäre Angelegenheit ist. Man fragt sich manchmal: Was muss denn noch geschehen, um einzusehen, dass Bildung nicht die Einübung in die Kunst des "immer Mehr“ ist, sondern Einladung in eine Kultur zum "Weniger“, das auch in einer Krise menschenwürdig leben lässt. Oder auch: In einer Krise müssen wir zusammenhalten; Bildung ist das, was mehr wird dadurch, dass es geteilt wird.

* Der Autor ist Präsident des Internationalen Forschungszentrums (ifz) in Salzburg

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