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Das Stundenlied

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Das bereits 1958 in Zürich komponierte „Stundenlied“, mit der Opus-zahl 26 versehen, wurde 1959 in einem Konzert des Auftraggebers, des Norddeutschen Rundfunks, uraufgeführt. Bald darauf lernten wir dieses Werk Gottfried von Einems auch in Wien, und zwar im Großen Konzerthaussaal, kennen. — Für viele mag der erste Eindruck dieser zugleich sachlichen und musikdramatischen Vertonung der auf einen Tag ■zusammfeBgecftpänaten - Leidensgeschichte Christi, von Brecht in ein neunstrophiges Gedicht gebracht, schockierend gewesen sein,. . Und zwar weniger der Text (den man Brecht nicht 'zugetraut hätte), der sich auf mittelalterliche Vorbilder stützt und als „antiquisierend“ oder als „in Holzschnittmanier“ bezeichnet werden kann, als die pointierte, vorwärtsdrängende, zuweilen „flotte“ Vertonung durch Einem. — Die zweite Begegnung, vermittelt durch den Jeunesses-Chor in großer Besetzung und die Wiener Symphoniker unter der straffen Leitung von Horst Stein rückte da manches zurecht: Man wird mittels einer totalen „Verfremdung“ (aber anders, als Brecht diesen Begriff sonst verwendete) auf das Eigentliche, Wesentliche, leidvoll Menschliche — und Unmenschliche des Vorgangs hingestoßen. Das ist nicht ohne Gefühl, aber nie „gefühlig“ geschrieben, und es gibt kaum eine Stelle (vielleicht eine in der vorletzten Strophe), wo die Feder des Komponisten ein wenig ausgeglitten ist. — Bewundernswert die Sicherheit der Faktur, die Kunst der Variation, mit der die jeweils letzten vier Zeilen jeder Strophe gedeutet und in Musik gesetzt sind („Laufts, ihr Leut, dort seht's ihn schon, zwischen die Folterknecht, weil er hat die Wahrheit g'sprochn, g'schieht ihm recht!“). — Zentriert ist das Werk um die mittlere, fünfte, Strophe („Uns hat ein Ros ergetzet“). Anfang und Ende sind fast gleichlautend, aber das letzte Wort heißt „Wahrheit“, vom Chor ohne Begleitung gesungen, gerufen. — Dieser Chor aus jungen Leuten — der, erzählend und kommentierend, das Volk repräsentiert, die „Turbae“ der Bachschen Passionen — schien vor Kraft zu explodieren und trug seinen Text mit jener präzisen Schärfe vor, die der Dichtung und der Musik angemessen ist. Auch hier bewährte sich wieder einmal Horst Stein aufs beste. — Den zweiten Teil des Programms bildete das Richard Strauss'sche Familienidyll, die „Symphonia domestica“.

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