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Der Fall Klaus Mann

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Es ist — leider — ein Fall Klaus Mann, und ich hätte längst darüber schreiben sollen, denn ich bin oder zumindest war in diesem Fall eine Hauptperson, jedenfalls ein Hauptzeuge. Wenn ich es nicht tat, so deshalb, weil ich nicht in das, was man ein schwebendes Verfahren nennt, eingreifen wollte, obwohl das Verfahren eigentlich bevor es begann, nämlich spätestens nach Zusammenbruch des Dritten Reiches, beendet war.

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Es ist — leider — ein Fall Klaus Mann, und ich hätte längst darüber schreiben sollen, denn ich bin oder zumindest war in diesem Fall eine Hauptperson, jedenfalls ein Hauptzeuge. Wenn ich es nicht tat, so deshalb, weil ich nicht in das, was man ein schwebendes Verfahren nennt, eingreifen wollte, obwohl das Verfahren eigentlich bevor es begann, nämlich spätestens nach Zusammenbruch des Dritten Reiches, beendet war.

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Der Sachverhalt:

In den ersten Jahren des Hitlerregimes, 1933 oder 1934 schrieb Klaus Mann, der sogleich in die Emigration gegangen war, einen Roman „Mephisto“. Es war die Geschichte eines Schauspielers namens Henrik Höfgen, eines ziemlich charakterlosen Subjekts, zudem pervers, der unter Hitler, besser Göring Intendant wird. Dieser Roman erschien in einem Emigrationsverlag in Amsterdam, nachdem er vorher im Pariser „Tageblatt“ abgedruckt worden war. Es handelt sich, um es gleich zu sagen, um einen Schlüsselroman. Höfgen war Gustaf Gründgens, der in der Tat nach einer blendenden Karriere als Schauspieler und Regisseur von Göring zum Intendanten des Staatlichen Schauspielhauses in Berlin gemacht worden war. Aber nicht nur Gründgens kam in dem Roman vor, auch seine erste Frau Erika Mann, auch Klaus, ihr Bruder, auch Thomas Mann, Max Reinhardt, die Bergner und unzählige andere, die selbst den Lesern, die vom Theater nicht allzu viel wußten, sofort erkenntlich waren; wül sagen, sie erkannten, wer unter den Pseudonymen verborgen war.

Rund dreißig Jahre später erschien deü: Roman neuerdings in einem westdeutschen Verlag — nach gewissen Schwierigkeiten, von denen noch zu sprechen sein wird, und Erben von Gründgens, repräsentiert durch seinen Adoptivsohn Peter Gorski klagten wegen Diffamierung eines Toten. Sie gewannen diesen Prozeß in den beiden entscheidenden Instanzen und auch vor dem Verfassungsgericht, das der Verlag schließlich anrief mit der Behauptung, hier läge ein Verstoß gegen das Grundgesetz vor, die Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit der Kunst müsse geschützt werden und dergleichen mehr.

Natürlich war Klaus Mann, übrigens wie Gründgens, mein guter Freund, ein Künstler. Aber der Roman „Mephisto“ war nicht Kunst und war gar nicht als Kunst beabsichtigt, sondern als politisches Pamphlet. Es sollte Gründgems und damit indirekt Göring als Bösewicht entlarven.

Das ist keine Vermutung, das hat mir Klaus Mann gesagt, das hat er Dutzenden von Menschen gesagt, von denen noch viele leben und es bestätigen könnten. Das hat er zudem in seinen Memoiren „Der Wendepunkt“ geschrieben, der noch während des Krieges in den Vereinigten Staaten erschien.

Seien wir uns klar darüber: Uns in der Emigration mußte es scheinen, als habe Gründgens, der mehr oder weniger einer der Unseren war (Schwiegersohn von Thomas Mann!) schmählichen Verrat begangen, als er sich von Göring anstellen ließ. Und gewissermaßen ein Aushängeschild des Dritten Reiches wurde. Jedes Mittel, ihm zu schaden oder ihn zu vernichten, war recht.

Aber nach dem Krieg sah alles ein wenig anders aus.

Ich kam zufällig oder vielleicht nicht ganz zufällig mit den amerikanischen Truppen Anfang Juli 1945 nach Berlin. Damals war Gründgens bereits in einem russischen Konzentrationslager. Viele Schauspieler, darunter solche bekannten Antinationalsozialisten wie Käthe Dorsch, bestürmten mich, etwas für ihn zu tun. Ich war erstaunt. Warum sollte man etwas für den Intendanten von Göring tun? Und ich erfuhr, was Gründgens während der „Tausend Jahre“ alles getan hatte. Er hatte zahlreiche Schauspieler mit jüdischen Frauen angestellt — was eigentlich verboten war und nur dadurch, daß Göring und vor allem dessen Frau ihn deckten, möglich wurde. Er spielte überhaupt keine national- szialistischen Autoren. Es war bekannt, daß an seinem Schauspielhaus niemals der Hitlergruß entboten wurde. Er rettete Menschen, die, in Gefahr von der Gestapo verhaftet oder umgebracht zu werden, zu ihm eilten. Zuletzt wohnten eine Reihe von Juden und jüdisch verheirateten Künstlern bis zuletzt bei ihm.

Kurz, Gründgens hatte sich nicht unanständig, Gründgens hatte sich sehr anständig benommen. Ich glaubte, auch Klaus Mann, der etwa ein Jahr nach mir nach Berlin kam, müßte das einsehen. Um diese Zeit war Gründgens wieder frei, und ich versuchte, die beiden alten Freunde zusammenzubringen. Gründgens, der sehr wohl verstand, daß der Emigrant Klaus Mann etwas gegen ihn hatte haben müssen, war bereit. Klaus Mann zögerte, sagte aber dann wörtlich zu mir: „Meine Schwester Erika würde es mir nie verzeihen!“

Sie haßte nicht so sehr den Intendanten Gründgens, sie haßte den Mann, mit dem sie unglücklich verheiratet gewesen war. — Erika war es dann auch, die Klaus dazu bestimmte, das Buch „Mephisto!“ nun auch in Deutschland zu verlegen. Die großen deutschen Verlage in Deutschland sagten samt und sonders ab. Grund: sie wollten nicht zur Diffamierung von Gustaf Gründgens beitragen, sie fürchteten wohl auch, daß er einen Prozeß anstrengen würde. Nur ein Verlag in der DDR fand sich schließlich zum Abdruck bereit. In der DDR konnte Gründgens nicht gut prozessieren.

Einer der westdeutschen Verlage hatte sich bei der Absage auf die oben erwähnten Memoiren bezogen. Klaus Mann hatte ja selbst zugegeben, daß er Gründgens habe darstellen wollen. Und nun geschah etwas geradezu Außerordentliches:

Die Memoiren erschienen auch auf Deutsch. Und an c’er Stelle, in der Klaus Mann zugab, Gründgens an den Pranger gestellt zu haben, stand nun folgendes zu lesen: es wären wohl einige Leser auf die Idee ge kommen, bei der Hauptfigur des Romans handle es sich um Gründgens, es handle sich aber gar nicht um Gründgens, sondern um eine frei erfundene Figur!

Also Fälschung. War das auch noch im Bereich der Eigengesetzlichkeit der Kunst unterzubringen?

Gründgens starb. Und nun glaubten die Erben von Klaus Mann, der nicht mehr lebte, sie könnten das Buch doch in Westdeutschland erscheinen lassen. Nicht in einem der großen Verlage, aber immerhin in einem, der sich bereit erklärt hatte, auch andere Bücher von Klaus Mann zu drucken. Gründgens würde ja nun wohl nicht mehr gut prozessieren können!

Sie irrten. Der Adoptivsohn Peter Gorsky prozessierte. Er gewann seinen Prozeß, und das Buch darf nun nicht mehr nachgedruckt werden.

Und das ist eigentlich das Beste,

was Klaus Mann geschehen konnte. Und wie ich ihn kannte, hätte er dieses Ende auch nicht ungern gesehen. Denn er war alles in allem eher ein gutmütiger und vor allem fairer Mensch.

Was aber den Roman angeht: Ein Buch muß nicht Kunst sein, besonders nicht, wenn es sich um ein politisches handelt. Es ist dann eher wie ein Leitartikel zu betrachten, der in einer bestimmten Zeitspanne seine Berechtigung hat, in einer anderen Zeit vielleicht sinnlos wird oder gar, wie in diesem Fall, zur Verunglimpfung eines Unschuldigen oder eines besonders anständigen Menschen beiträgt.

Denn dies wird von Gustaf Gründgens bleiben und seinen Ruhm als Schauspieler, Regisseur und Theaterleiter überleben: daß er

Menschenleben gerettet hat in einer Zeit, in der das nicht nur schwer war, sondern lebensgefährlich.

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