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Mein Jugendfreund Gustaf

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Ich war sehr jung, als ich die Gefahren und Möglichkeiten.des eigenen Wesens verspürte und spielerisch übertrieb. Meine Schwester Erika war sehr jung, auch Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens. Wir waren alle noch halbe Kinder, als wir damals, in der Mitte der zwanziger ahre, uns in Hamburg zusammenfanden, um mein Stück „Anja und Esther“ aufzuführen. Gründgens war der vielseitige Star der Hamburger Kammerspiele, die sich unter der Direktion von Erich Ziegel zu einer literarischen Bühne ersten Ranges entwickelt hatten. Er glitzerte und sprühte vor Talent, der charmante, einfallsreiche, hinreißend gefallsüchtige Gustaf! Ganz Hamburg stand unter seinem Zauber. Welche Verwandlungsfähigkeit! Welche Virtuosität der Dialogführung, der Mimik, der Gebärde! Sein Repertoire umfaßte alle • Tjįffftfęjtt f įstufąįįtsDerselbe Schauspieler, der gestern noch det tragischen'- Advokaten in Strindbergs „.Traumspiell aufs - seka eb uchs lst» v ör Me yw mut und lächelnde Sinnlichkeit in Schnitzlers „Anatol , um am nächsten Abend in einer klassischen Rolle — etwa als Marquis Posa — mit edel-feurigem Anstand vor das entzückte Publikum hinzutreten. So begabt war Gustaf, daß er auf der Bühne gerten- haft schlank aussehen konnte, obwohl er in Wirklichkeit schon als junger Mensch eher zum schwammig-weichen Fettansatz neigte. Der geschmeidige Wuchs, den er als Aiglon oder als Hamlet zeigte, war einfach das Produkt suggestiver Verstellungskunst, ein Triumph des Willens über die Materie.

Gustaf war brillant, witzig, blasiert, mondän. Mit welch nachlässiger Eleganz servierte er die Pointen in Oscar Wildes „The Importance of Being Earnest"! Gustaf war düster und dämonisch, Gustaf war müde und dekadent, Gustaf war von überströmender Lebendigkeit; er war abwechselnd jugendlicher Liebhaber, „pere noble“, Intrigant und Bonvivant; er war alles und nichts. Er war der Komödiant par excellence.

Die erste Begegnung mit Gustaf bleibt mir unvergeßlich. Mit dem Elan eines neurotischen Hermes drang er in unser Hotelzimmer ein. So leichtfüßig war sein Gang, daß man nicht umhin konnte, seine etwas abgetragenen, aber doch irgendwie sehr schicken Sandalen mit mißtrauischem Blick zu streifen. Gab es dort keine Flügel? Nein; auch war es kein antikes Göttergewand, was ihm da mit edler Nachlässigkeit um die Schultern hing, sondern nur ein ziemlich schäbiger Ledermantel.

Er war schön, die gerade, etwas zu fleischige Nase, die stolzen Lippen, das markante Kinn: alles war von kräftiger und reiner Bildung. Die leichte Verzerrtheit seiner Miene war wohl auf das Monokel zurückzuführen, welches er wegen starker Kurzsichtigkeit trug. Zu einer Brille mochte seine Eitelkeit sich nicht bequemen.

Er litt an seiner Eitelkeit wie an einer Wunde. Es war diese fieberhafte, passionierte Gefallsucht, die seinem Wesen den Schwung, den Auftrieb gab. an der er sich aber auch buchstäblich zu verzehren schien. Wie tief muß der Inferioritätskomplex sein, der sich in einem solchen Feuerwerk von Charme kompensieren will! Welche Beunruhigung, welch gequältes Mißtrauen versteckt sich hinter dieser exaltierten Munterkeit! Wer seiner selbst sicher wäre, gäbe wohl nicht so an. Wer sich auch nur von einem Menschen wirklich geliebt wüßte, hätte es kaum nötig, ständig zu verführen.

Der Gustaf jener frühen Epoche, der noch unbewiesene, noch unberühmte, von Ehrgeiz verzehrte Anfänger, war nicht ohne rührende, ja nicht ohne tragische Züge, bei all seinem Geglitzer. In einem Gesicht, das ohne Schminke merkwürdig fahl, fahl wie Asche schien, schillerten seine kalten, traurigen Juwelenaugen wie die eines sehr seltenen, sehr kostbaren, vielleicht verzauberten Fisches.

Wenn übrigens seine Haltung im Umgang mit Menschen, vor allem mit solchen, an deren Urteil ihm gelegen sein mochte, von krampfiger. Nervosität, und fahriger Unsicherheit, war, so gewann er Selbstgewißheit und Equilibrium, sowie er sich in seiner eigentlichen Lebens- und Arbeitssphäre, auf der Bühne, befand.

Die Uraufführung fand im Herbst des Jahres 1925 gleichzeitig in Hamburg und München statt. Aber ob die Kommentare spöttisch oder enthusiastisch waren, ihre Überfülle mußte uns als Reklame willkommen sein. Die ..Dichterkinder“ spielten vor vollen Häusern.

Aus: „Der Wendepunkt.“ Ein Lebc:sbericltt von Klaus Mann. S.-Fisclter-Verlaį

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