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Der liebenswerte Bürgerschreck

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Als er 1948, ein müder, gebrochener Sechziger, in England starb, galt er in seiner Heimat Deutschland noch als ein Bürgerschreck, ein von Hitler Verfemter: der Dadaist Kurt Schwitters, ein Expressionist, also ein „Entarteter“ ... Nur ein paar seiner prominenten Künstlerfreunde von einst, der Maler Max Ernst, der Dichter Tristan Tzara, die Aliround-Künstler Hans Richter, Richard Huelsenbeck, Hans Arp, Stars der Avantgarde von 1920, bewunderten ihn wie einst als den Mitbegründer des. Berliner Dadaismus. Nur wenige private Galerien, in New York, Basel und London, widmeten ihm damals Gedächtnisausstellungen.

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Als er 1948, ein müder, gebrochener Sechziger, in England starb, galt er in seiner Heimat Deutschland noch als ein Bürgerschreck, ein von Hitler Verfemter: der Dadaist Kurt Schwitters, ein Expressionist, also ein „Entarteter“ ... Nur ein paar seiner prominenten Künstlerfreunde von einst, der Maler Max Ernst, der Dichter Tristan Tzara, die Aliround-Künstler Hans Richter, Richard Huelsenbeck, Hans Arp, Stars der Avantgarde von 1920, bewunderten ihn wie einst als den Mitbegründer des. Berliner Dadaismus. Nur wenige private Galerien, in New York, Basel und London, widmeten ihm damals Gedächtnisausstellungen.

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Der Durchbruch erfolgte erst 1956: Schwitters-Biograph Werner Schma-lenbach präsentierte damals in der Kestner-Gesellschaft in Schwitters' Geburtsstadt Hannover erstmals fast komplett das Werk: Bilder, Collagen, Montagen, Texte ... Bern, Amsterdam, Brüssel übernahmen die Schau. Der internationale Triumphzug, kulminierend in den großen Retrospektiven auf den Biennalen von Venedig (1960) und Sao Paulo (1961) und unterstützt vom Kunsthandel, der bereits viel investiert hatte, war nicht mehr aufzuhalten: Schwitters, das „Genie im Bratenrock“, mauserte sich zum Klassiker der Moderne, der „abstrakte Spitzweg“ wurde vor der staunenden Kunstwelt über Nacht zum Ahnherrn einer Generation von Neodadaisten und Abstrakten, der arme Poet Schwitters, der so spaßig das Deutsch des „kleinen Mannes“ ironisierte, stand plötzlich als Hüne, als Vater der neuen phonetischen Dichtung und konkreten Poesie da.

Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatten ein paar Kunsthändler, etwa Lloyd von der Londoner Marlborough Gallery, der Kölner DuMont-Verlag, der, dazu bereit, in die Rehabilitierung dieses großen Vergessenen eine Menge zu investieren, Schwitters' Oeuvre systematisch zu erschließen begann: ein DuMont-Dokumente-Band des Schwitters-Forschers Friedhelm Lach, eine repräsentative kritische Monographie Werner Schmalen-bachs, der gemeinsam mit Schwit-ters-Sohn Ernst die Nachlaßbestände sichtete, schließlich die auf vier Bände geplante Gesamtausgabe von Schwitters' literarischem Werk (Herausgeber: Dozent Lach), von der vorerst der erste Band vorliegt... Das bedeutete eine enorme Hilfestellung, ohne die die Schwitters-Renaissance überhaupt nicht denkbar gewesen wäre, und auf deren Wogen übrigens nun auch mit 17 Jahren Verspätung die große Schwitters-Ausstellung, nun allerdings vorwiegend Bestände der Marlborough Gallery, ins Wiener Museum des 20. Jahrhunderts gekommen ist.

Aber diese Ausstellung zeigt im Grunde, wie schwer es geworden ist, Schwitters' weit verstreutes Oeuvre zusammenzutragen: Viel, allzuviel fehlt in dieser Revue, die etwa überhaupt keine Manuskripte enthält und in der man eine Menge Schlüsselwerke vermißt. Sie bietet also wirklich nur ein fragmentarisches Schwitters-Porträt, dem es an vielen Zügen, an zahllosen Details und Facetten mangelt. Und doch: Auf Schritt und Tritt steht man auch hier vor wichtigen historischen Werken, die erst in den fünfziger und sechziger Jahren in ihrer Bedeutung wiedererkannt wurden und dann auf eine ganze Generation internationaler Künstler wirkten.

Heute ist es keine Frage mehr: Schwitters' Arbeiten gehören zu den Pionierleistungen, die nun ihre volle Aktualität hervorkehren. Es sind mitunter kühne, harte Werke, die erstmals jene der banalen Realität entnommenen Ausdrucksmedien, mit denen Schwitters seine „Collagen“ und „Assemblagen“ zusammensetzte, „kunstgerecht“ erscheinen ließen: Bilder, in denen Triviales, Kitsch und Abfall zur „neuen Kunst“ vereint werden.

Schwitters strebte von jeher, innerhalb einer bewußt profanierten Bild- und Wortkunst, nicht zu einer didaktisch orientierenden Bewußt-machung der Zeitsituation hin, sondern ihm ging es — Schock für die bürgerliche Kunstsammlerwelt! — darum, durch den Abfall hindurch zu reiner Kunstäußerung zu gelangen. „An Stelle des primär betonten Sekularisierungsprozesses trat hier ein artistischer SubHmierungsakt hervor. In seinem künstlerischen Credo heißt es ,... man kann auch mit Mülleimerabfällen schreien... es gilt mit den Scherben Neues aufzubauen, denn Kunst existiert ausschließlich als Gleichgewicht durch Wertung der Teile.'“

Vor allem das Wort „MERZ“, das alle seine vielseitigen künstlerischen Äußerungen zusammenfaßte — selbst aus „Kommerz“ abgesplittert und mit Scherz, Schmerz und Herz klanglich verbrüdert! —, sollte nicht nur all die emotionellen Assoziationen in sich bergen, sondern auch den Begriff des „Ausmerzens“, im Sinne der „Abstraktion“, auf die der Künstler sich immer bezog.

Carola Giedion-Welcker notiert dazu 1972: „Ersichtlich wird, wie in dieser ,Merz'-Welt der Verschwitte-rung und Verwitterung, die aus belanglosen Resten des alltäglichen Lebens alarmiert wurde, der Künstler letztendlich dem Aufbau eines ausgeglichenen kompositioneilen Ganzen zustrebte. Es ging ihm gerade um Realisierung einer künstlerischen Synthese, trotz und mit profansten Alltagsvokabein. Kritischironisch, mit humorvollem Impetus, in immer neuen Schattierungen wurde gleichzeitig mit diesen realen Zufallsresten Inhaltliches vermittelt: eine Gegenwart, in ihrer wogenden Labilität spürbar, die als Inflation und soziale Unruhe, in Kapp-Putschen und Spartakus-Revolten sich präsentierte. Typographische Insignien auf vergilbten Papierfetzen, Reklamefragmente und entwertete Geldscheine, ebenso wie verrostete industrielle Überbleibsel, stellten den Kpntakt mit der Realität, mit Zeit und Umwelt, her. Durch den künstlerisch aufbauenden Eingriff aber wurde der Abfall in neue Zusammenhänge gebracht und zu ästhetischer Neuordnung destilliert.“

Schwitters war — das zeigt die Ausstellung im Museum im Schweizergarten am wenigsten — ein Meister des Gesamtkunstwerks. Diese Idee beherrschte sein Leben und Schaffen an allen Phasen; sie sollte in der „MERZ“-Säule verkörpert werden. Kandinsky, die Bauhaus-Bewegung, „De Stijl“, der Esprit-Nouveau-Kreis hatten ähnliche Bestrebungen, denen sich freilich im Fall Schwitters überdies das Bestreben zugesellte, eine „Vereinigung von Kunst und Nachtkunst herzustellen“. Eine Vorwegnahme von Gegenwartstendenzen, etwa von Gedanken Rauschenbergs, läßt sich da nicht übersehen.

Es wäre eine faszinierende Aufgabe, eine Ausstellung zusammenzutragen, in der einmal das Erbe Schwitters' dokumentiert würde; die Kunst, die nach seinem Vorbild selbst banale Realitäts- und Kdtsch-einbrüche zur höheren Sprache transformiert hat, oder wie Schwitters das formulierte: .....als eine geistige Funktion des Menschen mit dem Zweck, ihn aus dem Chaos und der Tragik des Lebens zu erlösen ... als Urbegrdff, erhaben wie die Gottheit, unerklärbar wie das Leben...“

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