6820274-1973_31_13.jpg
Digital In Arbeit

Ein Chaplin der Sprache

19451960198020002020

Als er 1948, ein müder, gebrochener Sechziger, in England starb, galt er in seiner Heimat Deutschland noch als ein von Hitler Verfemter: der Dadaist Kurt Schwitters, ein Expressionist, also ein „Entarteter“ ... Nur ein paar seiner prominenten Künstlerfreunde von einst, der Maler Max Ernst, der Dichter Tristan Tzara, die Allround-Artisten Hans Richter, Richard Huel-senbeck, Hans Arp, Stars der Avantgarde von 1920, bewunderten ihn wie einst als den Mitbegründer des Berliner Dadaismus. Nur wenige private Galerien, in New York, Basel, London, widmeten ihm damals Gedächtnisausstellungen.

19451960198020002020

Als er 1948, ein müder, gebrochener Sechziger, in England starb, galt er in seiner Heimat Deutschland noch als ein von Hitler Verfemter: der Dadaist Kurt Schwitters, ein Expressionist, also ein „Entarteter“ ... Nur ein paar seiner prominenten Künstlerfreunde von einst, der Maler Max Ernst, der Dichter Tristan Tzara, die Allround-Artisten Hans Richter, Richard Huel-senbeck, Hans Arp, Stars der Avantgarde von 1920, bewunderten ihn wie einst als den Mitbegründer des Berliner Dadaismus. Nur wenige private Galerien, in New York, Basel, London, widmeten ihm damals Gedächtnisausstellungen.

Werbung
Werbung
Werbung

Der Durchbruch erfolgte erst 1956: Schwitters-Biograph Werner Schrna-lenbach präsentierte damals in der Kestner-Gesellschaft in Hannover erstmals fast komplett das Werk: Bilder, Collagen, Montagen, Texte ... Bern, Amsterdam, Brüssel übernahmen die Schau. Der internationale Triumphzug, kulminierend in den großen Retrospektiven auf den Bie-nalen von Venedig (1960) und Säo Paulo (1961) und unterstützt vom Kunsthandel, war nicht mehr aufzuhalten: Schwitters, das „Genie im Bratenrock“, mauserte sich zum Klassiker der Moderne, der „abstrakte Spitzweg“ wurde vor der staunenden Kunstwelt über Nacht zum Ahnherrn einer Generation von Neodadaisten und Abstrakten, der arme Poet Schwitters, der so spaßig das Deutsch des kleinen Mannes ironisierte, stand plötzlich als Hüne, als Vater der neuen phonetischen Dichtung und konkreten Poesie da.

Wesentlichen Anteil an dieser Entwicklung hatte allerdings der Kölner Dumont-Verlag, der, dazu bereit, in die Rehabilitierung dieses großen Vergessenen eine Menge zu investieren, Schwitters Oeuvre systematisch zu erschließen begann: ein DuMont-Dokument-Band des Schwitters-For-schers Friedhelm Lach, eine repräsentative kritische Monographie Werner Schmalenbachs, schließlich die auf vier Bände geplante Gesamtausgabe von Schwitters literarischem Werk ..(Herausgeberb :DflB«rft öL/aeh),' von der nun der erste Band vorliegt ... Das bedeutete eine enorme Hilfestellung, ohne die die Schwit-ters-Renaissance überhaupt nicht denkbar gewesen wäre, und auf deren Wogen übrigens nun auch (mit 17 Jahren Verspätung) eine große Schwitters-Ausstellung 1974 ins Wiener Museum des 20. Jahrhunderts kommt.

Schwitters als Dichter: ein literarisches Ereignis, besonders wenn man seine Lyrik auf ihre Patenschaft für die deutsche Literatur nach 1950 abtastet. Techniken, die da neu entdeckt wurden, sind bei ihm bereits konsequent durchgeführt. Schwitters, der Chaplin der Sprache, jongliert bewußt mit den Banalitäten, rüttelt und schüttelt sie, bis daraus Prosa-und Lautgrotesken („Anna Blume“, die „verrückte Geliebte meiner 27 Sinne“; „Veilchen“; „Ursonate“) entstehen. Und mit der typischen Liebe eines romantischen Jean-Paul-Kauzes zum Deutsch des kleinen Mannes verzaubert er, spielerisch dichtend, eine Welt der Katastrophen, Weltkriege, Zusammenbrüche in ein tolles Fastnachtspiel...

„Material der Dichtung sind Buchstabe, Silbe, Wort, Satz, Absatz. Worte und Sätze sind in der Dichtung weiter nichts als Teile. Ihre Beziehung untereinander ist nicht die übliche der Umgangssprache, die ja einen anderen Zweck hat: etwas auszudrücken. In der Dichtung werden die Worte aus ihrem alten Zusammenhang gerissen,, entformelt und in einen neuen, künstlerischen Zusammenhang gebracht, sie werden Form-Teiile der Dichtung, weiter nichts“, vermerkt er in „Merz I“, nachdem er schon früher „Poesie durch Werten der Elemente gegeneinander“ theoretisch entstehen ließ.

Er hat damit vorweggenommen, was für die Dichter konkreter Poesie oder für die Wiener Schule um Rühm, Artmann, Bayer zur Basis ihres Dichtens und ihrer Methode zu schreiben wurde: das Prinzip der Collage, in der heterogene Elemente der Sprache in die Homogenität des Gedichts aufgenommen werden und — als eigentliches „Merz“-Prinzip — die Verwendung von sprachlichen „Ready mades“, von „objets trouves“, von Vorgefundenem, das zum Gedicht montiert wird. Oder wie Schwitters das erklärte: „Die Merz-Dichtung ist abstrakt. Sie verwendet analog der Merz-Malerei (Merz ist eine Reduktion von Kommerz) als gegebene Teile fertige Sätze aus Zeitungen, Plakaten, Katalogen, Gesprächen usw., mit und ohne Abänderungen (das ist furchtbar). Diese brauchen nicht zum Sinn zu passen, denn es gibt keinen Sinn mehr (das ist auch furchtbar). Es gibt auch keinen Elefanten mehr, es gibt nur noch Teile des Gedichts (das ist schrecklich). Und Ihr? (Zeichnet Kriegsan-eihe!).

Bestimmt es selbst, was Gedicht und was Rahmen ist.“

Diese Sätze definieren nicht hur, sondern exemplifizieren an sich selbst, durch die aus anderen Zusammenhängen genommenen Eiinschie-bungen —, die „Weltgefühl“ erzeugen, das Prinzip der Merz-Dichtung.

Das war aber schließlich auch der Startmoment für das „Schüttel-Be-cher“-Prinzip in der Dichtung: „Die .Schere' zerschneidet nun nicht mehr nur Sätze und Worte, sie zerschneidet Zeitungen, Plakattexte und Werbeprospekte, deren Fragmente .wahllos' in den jeweiligen Zusammenhang eingeblendet werden“ schreibt Werner Schmalenbach. Und hier gebraucht Schwitters auch erstmals konsequent die Sprache des „kleinen Mannes“ mit ihren Gemeinplätzen und Klischees, ihren Sinnsprüchen und goldenen Worten, ihrer unfreiwilligen Komik und gerade darum Tragikomik, kurz: mit ihrem unbewältigten Affektgehalt. Schon die Futuristen, namentlich Apollinaire und Max Jacob wandten den Gemeinplatz als Collage-Material ihrer dichterischen Prozeduren an. Tristan Tzara huldigte dabei der absoluten Willkür, indem er, zumindest theoretisch, die Dichtung dem Schüttelbecher anvertraute. So entdeckte man eine an Assoziationen überreiche Poesie der Banalität. Schwitters machte daraus wie kaum ein anderer das konsequente dichterische Organisationsprinzip. Nummer 4 seiner Zeitschrift „Merz“ hat etwa den Titel „Banalitäten“, er meint, Abfälle der Umgangssprache für seine Dichtung, und er schreibt: „Alle Banalitäten sind dada complet, aber in jeder Banalität ist eine Menge dadaistischen Blödseins versteckt. Ich habe Banalitäten vermerzt, das heißt, ein Kunstwerk aus Gegenüberstellung und Wertung an sich banaler Sätze gemacht.“

In mehreren Heften hat Schwitters kleine Sammlungen von Banalitäten zusammengetragen, Zitate von Goethe, Platen, Geibel; andere Sammlungen von „Banalitäten aus dem Chinesischen“ veröffentlichte er in „Die Blume Anna“ und „Merz 7“. Witz und Lust an der spielerischen Kombinatorik mögen der Grund für diese Verfahren gewesen sein, aber nicht unterschätzen sollte man den Reiz, Sprache und ihre emotionale Substanz zu verfremden. So sehr Schwitters sich stets als „Abstrakter“ verstand, in der Malerei wie in der Dichtung, hier war es doch die Wirklichkeit, die seine Phantasie für die originellsten Arbeiten entzündete, und hier war es seine Neigung zum Humoristischen, die ihn aus der Starre expressionistischen Gebarens, ihrer pathetischen Rhetorik, befreite.

Man braucht nur sein Paradegedicht .„An Anna Blume“ zu lesen, das Schwitters lim 1920 wie kaum einen anderen Dichter zur berühmt-berüchtigten Figur machte und das in Ubersetzungen seinen Siegeszug durch andere Sprachen antrat. Diese Mischung aus populärem „Schlager“, dadaistischer Spracbsynthetik, mondäner Verrücktheit und Ver-rückt-sein, aus Persiflage und Pathos, Ironie und gewollter Expressivität, falscher Sentimentalität und kleinbürgerlich hannoverscher Diktion hat den durchschlagenden Erfolg ausgemacht. Dem eigenartig-närrischen Charme dieses Gedichts konnten sich auch die nicht entziehen, die es anging. Es war der Charme und die komische Banalität, „wie man sie bei den Strick- und Stickschwestern kleiner Städte findet“ (Schmalenbach).

Allerdings: die Art, wie Schwitters selbst sein Gedicht vortrug — sie ist uns durch eine Grammophonplatte erhalten geblieben — zeigt, in welchem Maße er daä Natürliche und Banale stilistisch überhöhte; „die helle, kristallklare, kalte und schneidende Stimme nimmt den Worten ihre .Körperwärme', ihre Herzenswärme und transportiert sie mit aller Deutlichkeit in eine Zone des Stils, die mit dem Wirklichen keine gemeinsame Sache macht. Zu den .Verfremdungen' der Grammatik und der Natur kommt die des Vortrags hinzu, eines Vortrags, der seinerseits gleichzeitig den stilistischen Ernst wie die inhaltliche Komik erhöht.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung