Uber allen Wipfeln hat selbstverständlich Ruhe zu sein; es wäre ja der Gipfel, spürte man da auch nur einen Hauch von Lebendigkeit, einen Hauch von dem, was die Ordnung gefährdet und die festgelegten Abläufe stört! Ruhe ist schließlich die erste Pflicht eines redlichen Bürgers, und wie es drin aussieht, geht niemanden außer die Psychologen was an, aber die auch nur dann, wenn sie die Gestörten wieder brauchbar machen für den Arbeitsprozeß, und nicht, wenn sie sagen, unsre Gesellschaft sei im Grund nekrophil in den Friedhof verliebt! *
Wenn ein Blinder einen Blinden führt, fallen beide in die Grube, aber auch dann, wenn ein Sehender einem Sehenden hilft, fallen beide über kurz oder lang in die Grube, weil die Welt, auf der sie sind, über kurz oder lang in die Grube fällt, es sei denn, es gäbe tatsächlich einen Punkt, von dem aus man die Welt auf den Kopf stellen könnte, aber das müßte dann etwas sein, das stärker wäre als der Tod.
Aus der Betonwüste kriecht eine endlose blecherne Schlange: der Individualverkehr bricht in Reih und Glied zum Exodus auf, die Wüstenbewohner wollen ins Grüne, ins gute alte Gelobte Land, ein wenig zurück in die vergangenen goldenen Tage, zumal die Tage der Gegenwart bereits gezählt sind... Einmal Europa, solange es noch steht, einmal Exodus, hin und retour, gezählt, gewogen und aufgeteilt, ein wenig Urlaub, ehe das Laub und das Übrige fällt.
Name,
Vorname,
Geburtstag,
Bekenntnis,
Familienstand,
Beruf,
Adresse,
Staats bürgerschaft, Größe,
Farbe der Augen: selbst die Haare des Hauptes sind gleichsam gezählt. Die Bürokratie sorgt dafür, daß der Mensch nicht verlorengeht. Alle Daten werden erfaßt und verewigt. Kein Detail geht verloren, bloß das Ganze ist immer schwerer zu finden...
Aus: DER WAHNSINN HAT METHODE. Momente der Betroffenheit Hintergründige Gedanken zu Cartoons und Karikaturen. Von Josef Dirnbeck. Verlag Herder, Wien-Freiburg-BaseL 1985.
