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Ein Xfürein RU

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Ignoranz geriert sich als Ex- pertentum, Wichtigtuerei gibt Kompetenz vor: Die Diskus- sion um die Abtreibungspille RU 486 (siehe auch Seite 1) ist von einer Desinformations- kampagne begleitet, die durch die falschen Hoffnungen, mit denen sie spielt, verantwor- tungslos ist.Frauen wurde ein X für ein RU vorgemacht.

Frauen wurde suggeriert, daß das Präparat zu 90 Prozent (Lainz-Primar Sepp Leodolter) nicht für Abtreibungen, son- dern für andere Anwendungs- möglichkeiten zum Einsatz komme, daß eine Nichtzulas- sung den medizinischen Fort- schritt (ÖVP-Gesundheits- sprecher Erwin K. Rasinger) blockiere: RU 486 sei eigent- lich ein Mittel gegen Brustkrebs und Hirntumore, ein Argu- ment, das auch der Textiltech- niker im Gesundheitsmini- sterium, Harald Ettl, vertritt, unter anderem noch dazu ge- eignet, Kaiserschnitt-Entbin- dungen zu verhindern.

Was daran stimmt, haben Andre Ulmann, Georges Teutsch und Daniel Philibert, drei für die Forschung und Entwicklung von RU 486 füh- rende Mitarbeiter von Rous-

sel-Uclaf im „Spektrum der Wissenschaft" (August 1990) dargelegt. Die Fakten:

• Erstens: RU 486 ist bisher einzig in Frankreich und auch dort ausschließlich als Abtrei- bungspille zugelassen. Die Anwendung im Rahmen des französischen Abtreibungsge- setzes ist noch zusätzlich - auch das hat die heimische Diskus- sion unterschlagen - einge- schränkt: „Es darf nur bis zur siebten Schwangerschaftswo- che angewendet werden - dem äußersten Zeitpunkt, den offi- zielle Studien noch untersucht haben."

• Zweitens: Bei der Anwen- dung von RU 486 kann es, über die „normalen" Risken hinaus, „bei Frauen mit bestehenden Herzerkrankungen oder einem hohen Risiko dafür (bei star- ken Raucherinnen etwa)" zu schweren Störungen der Herz- funktion kommen.

• Drittens: „RU 486 könnte ei- nes Tages noch auf ganz an- dere Weise nützlich werden - bei der Behandlung von Krebs- formen, die Progesteron-Re- zeptoren aufweisen. Dazu gehören manche Arten von Brustkrebs. In Reagenzglas- versuchen hat die Substanz das

Wachstum solcher Tumoren verlangsamt."

• Viertens: „Untersuchungen an Affen zeigen, daß RU 486 ... beim Einleiten von Wehen zum Geburtstermin zu helfen ver- mag." Tierversuche von Gary D. Hodgen an der Medizini- schen Fakultät von Ost-Vir- ginia mit trächtigen Affen- weibchen nähren die vage Hoffnung, „auf diese Weise ließen sich vielleicht manche Kaiserschnitt-Entbindungen vermeiden. Hodgen beobach- tete aber noch einen weiteren nützlichen Effekt von RU 486: Zumindest bei Affen regte es die Milchbildung an, und die Tiere hatten auch mehr Milch."

Anders als die österreichi- schen „Experten", die Frauen vor dem Hintergrund dieser Tier- und Reagenzglasversuche bereits in der falschen Gewiß- heit eines probaten Präparates mit zahlreichen Anwendungs- möglichkeiten wiegen, üben die wirklichen Fachleute wissen- schaftliche Redlichkeit. Und sogar Etienne-Emile Baulieu, der „Erfinder" von RU 486, sieht erst einen Beginn klini- scher Studien, deren Ergebnis- se noch nicht absehbar sind.

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