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Ende einer Rundfunkära

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Das Schicksal des zweitgrößten Hauses der „Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands" (ARD), des Norddeutschen Rundfunks (NDR), ist besiegelt. Am 31. Dezember 1980 um 24 Uhr wird mit ihm unwiderruflich jene Funkanstalt geschlossen, die seit 1955 die drei norddeutschen Bundesländer Hamburg, Schleswig-, Holstein und Niedersachsen mit regionalen und überregionalen Programmen versorgte.

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Das Schicksal des zweitgrößten Hauses der „Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands" (ARD), des Norddeutschen Rundfunks (NDR), ist besiegelt. Am 31. Dezember 1980 um 24 Uhr wird mit ihm unwiderruflich jene Funkanstalt geschlossen, die seit 1955 die drei norddeutschen Bundesländer Hamburg, Schleswig-, Holstein und Niedersachsen mit regionalen und überregionalen Programmen versorgte.

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Gekündigt wurde der Vertrag über den NDR vom schleswig-holsteinischen CDU-Ministerpräsidenten Gerhard Stoltenberg, der mit seinem niedersächsischen Kollegen und Parteifreund Ernst Albrecht einen neuen Staatsvertrag über eine Zwei-Länder-Anstalt bereits unterzeichnet hat.

Auf der Verhandlungsstrecke geblieben ist der sozialdemokratische Bürgermeister und Regierungschef des Stadtstaates Hamburg, Hans Ulrich Klose, der freilich noch nicht aufgegeben hat und die Zukunft des NDR zunächst der Entscheidung des Berliner Bundesverwaltungsgerichtes überlassen will.

Dieses hat voraussichtlich im Juni darüber zu befinden, ob die Kündigung durch den schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten rechtswirksam ist, weil das Parlament nicht befragt wurde und ob es sich um eine Austritts- oder eine Auflösungskündigung handelt.

Sollte sich der Hamburger Standpunkt durchsetzen, müßte der NDR die folgenden fünf Jahre als Zwei-Länder-Anstalt von den Kontrahenten Hamburg und Niedersachsen weiter betrieben werden. Lediglich Schleswig-Holstein könnte ausscheren.

Setzt sich beim Bundesverwaltungsgericht dagegen die niedersächsische Gegenklage durch, Stoltenbergs Staatsvertragskündigung sei als sogenannte Auflösungskündigung zu werten, dann muß der bisherige NDR in zwei oder drei Nachfolgeanstalten umgewandelt werden.

Was auf den ersten Blick als spröde Juristenakrobatik wirkt, hat höchst emotionale, historische und eben politische Wurzeln. Und nicht zuletzt geht es um die menschlichen Schicksale der 3300 Mitarbeiter in den Funkhäusern Hamburg, Hannover und Kiel des NDR, denen die Unsicherheit ihrer Existenz in den Knochen steckt.

Die tiefen Ursachen des Desasters lassen sich Jahrzehnte zurückverfolgen - bis in die Tage des Bundeskanzlers Konrad Adenauer hinein, dem schon die politische Linie des damaligen NDR-Vorgängers, des Nordwestdeutschen Rundfunks (NWDR), nicht paßte, dessen Sendegebiet nicht nurdiedrei norddeutschen Länder, sondern auch Nordrhein-Westfalen umschloß.

Zum andern hatte sich Nordrhein-Westfalen, das den Hauptanteil der Gebühren in die gemeinsame Kasse einbrachte, in der Berichterstattung vom NWDR vernachlässigt gefühlt. Die Folge war die Aufteilung in NDR und WDR (Westdeutscher Rundfunk).

Unmittelbar zur heutigen Entwicklung trug in den sechziger Jahren der Marsch der Epigonen der APO (Außerparlamentarische Opposition) durch die „Institution Sender" bei: gewiß, die Tendenz sich als Redakteur nicht mehr dem politischen Neutralitätsprinzip einer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt verpflichtet zu fühlen, sondern sich als politischer Links-Missionar zu gebärden.

Diese Tendenz machte sich in allen Rundfunkanstalten bemerkbar und wirkt bis zum heutigen Tage fort. So empfindlich freilich, wie beim NDR, in dessen Einzugsgebiet mittlerweile 3,9 Millionen Fernseh- und 4,2 Millionen Radiogeräte stehen, bohrte sich das Unbehagen nirgendwo sonst durch die Gemüter von kritischen Konsumenten einerseits und jenen politischen Kräften anderseits, die sich zunächst überrumpelt, machtlos und wie das Kaninchen vor der Schlange verhielten.

In weitesten Bereichen des APO-freundlichen Programmes des NDR war man naturgemäß militant Anti-CDU, was aber nicht etwa bedeutete, daß die journalistischen Links-Barden der SPD zujubelten: Denn auch diese, zumindest in ihren etablierten Etagen, war einer Vielzahl von NDR-Redakteuren nicht „fortschrittlich" genug.

Hinzu kam das ständig umstrittene Finanzgebaren des NDft, dessen jeweilige Geschäftsleitungen zumeist den Eindruck erweckten, die Anstalt stehe kurz vor dem Konkurs. Heute betragen die Schulden des Senders 200 Millionen DM.

Alles dies summiert und eskaliert -linkslastige Programmgestaltung, unsolide Finanzpolitik und schließlich auch die fortwährenden Klagen über mangelnde regionale Berichterstattung - war längst zur Ungenießbarkeit herangefault, als in zwei der drei Staatsvertragsländer CDU-Ministerpräsidenten und CDU-Mehrheiten ihre Stunde gekommen sahen.

Schleswig-Holstein kündigte 1978 den Staatsvertrag der Drei im NDR fristgerecht zum 31. Dezember 1980. Langwierige und schließlich erfolglose Verhandlungen zwischen Hannover, Kiel und Hamburg über einen neuen Drei-Länder-NDR-Staatsvertrag hatten bereits im Frühjahr des vergangenen Jahres begonnen.

Ministerpräsident Albrecht forderte ein eigenes „Radio Niedersachsen" und schuf damit Voraussetzungen, den potentiellen und privaten Anbietern die Sendetür zu öffnen. Der Wegfall des bisherigen NDR-Sendemonopols und die Zulassung auch privater Träger von Rundfunkanstalten im NDR-Sendegebiet - die bereits als umstritten gilt - hat den Verband nordwestdeutscher Zeitungsverleger denn auch schon dazu inspiriert, eine „Nordwestdeutsche Mediengesellschaft mbH" mit einem Stammkapital von 100.000 DM und Sitz in Hannover zu gründen.

Alle 65 niedersächsischen Zeitungsverleger sowie die drei aus Bremen/ Bremerhaven sollen an dieser Mediengesellschaft gleichberechtigt beteiligt sein, um Konzentration durch Großverleger zu vermeiden. Aufgaben der Mediengesellschaft werden die Produktion und Verbreitung von Rundfunkprogrammen, die Beteiligung an neuen Medien wie Bildschirmzeitung, Video-Text und Kabelfernsehen sowie die Entgegennahme von Lizenzen sein.

Schon fürchten Pessimisten den Untergang der gesamten ARD, falls der Westdeutsche Rundfunk seine demonstrative Selbstmorddrohung wahrmachen sollte, nach dem Auseinanderbrechen des NDR in gegenwärtiger Form ebenfalls über seine Eigenständigkeit nachzudenken.

Schaudern könnte man vor dem Gedanken, daß alle Reorganisation, die sich da abzeichnet, eines Tages wiederum umgekrempelt werden könnte -dann nämlich, wenn sich die politischen Kräfteverhältnisse ändern. Was ein Rundfunk als jeweiliger Ausfluß wechselnder parlamentarischer Mehrheiten bedeutet, darüber hat man in anderen Ländern, außerhalb der Bundesrepublik, schon bittere Erfahrungen gemacht.

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