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Digital In Arbeit

Genarbt oder glatt

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Statussymbole fördern das fWohlbefinden. Vor allem auf Büromenschen üben sie einen großen Reiz aus, weil damit die beruflichen Rangstufen augenfällig zu demonstrieren sind.

Der Diplomatenkoffer gehört zu diesen Symbolen; seine in den USA geborene Urzelle hat sich in unseren Breiten in eine Vielzahl hierarchischer Varianten gespalten:

In das transparente Köfferchen für den weiblichen Lehrling, das Blechbehältnis mit — unpolitischen — Aufklebern für den Kom-

mis, die Lederimitation für den Außenvertreter, die Ausführung in Rindsleder (genarbt) mit Silberbeschlägen ab dem Abteilungsleiter und das künstlich abgewetzte Spitzenprodukt aus Juchten (glatt) mit Goldarmaturen nicht vor der Direktionsebene.

Ein weiteres Statussymbol, das seinen festen Platz eben in den Diplomatenkoffern hat, ist der Terminkalender.

Auch hier gibt es hierarchisch bedingte Unterschiede: Plastikhülle, Lederimitation, Leder genarbt oder glatt und endlich die Vorzimmerdame. Diese ist nicht im Koffer mitführbar, doch hebt sie das Renommee ihres — ohne diese Dame hilflosen — Chefs beträchtlich.

Darf man erst einmal einen solchen Kalender — Vorzimmerdame inklusive — sein eigen nennen, kann man sich ins Geschäftsleben integriert fühlen. Lustgewinn wächst mit der Zahl der vermerkten Termine, zumal dadurch die berufliche Inanspruchnahme dokumentiert wird.

Ein voller Terminkalender ist jedenfalls Ausweis fast übermenschlicher Aktivität (die nicht selten im umgekehrten Verhältnis zur Effizienz steht, doch das ist ein anderes Thema).

Dieses hohe Berufsethos ist vor allem dem deutschen Arbeitnehmer zu eigen, der ohnehin die Bewohner der restlichen Welt für Tagediebe hält. So kommt es auch, daß hierzulande die Chauffeure am Wochenende ihren Chefs die Diplomatenkoffer (Juchten glatt) und gebündelte Akten zur häuslichen Fleißarbeit nachzutragen pflegen.

Dem Dauerstreß bekömmlich

ist auch jenes begehrte Statussymbol, welches in den Terminkalendern (ab Leder genarbt bis Vorzimmerdame) gehäuft in der Rubrik für 13 Uhr zu finden ist: das Arbeitsessen.

Diese segensreiche Einrichtung bietet den beruflich Fortgeschrittenen die Möglichkeit, mittags in entspannter Atmosphäre das zu sich zu nehmen, was die Küche daheim zu bieten nicht fähig ist. Selbstverständlich wird dabei auch übers Geschäft geredet, einem eingespielten Ritual gemäß aber erst nach trockenem Sherry und Antipasto.

Der nachfolgenden Müdigkeit

kann mittels eines Büronickerchens begegnet werden, Gewichtszunahme und angegriffene Leber hingegen zählen zum Berufsrisiko.

Neulich erzählte ein beruflich Fortgeschrittener im engeren Kollegenkreis von einem deprimierenden Traum: Er schlägt seinen Terminkalender auf, und der ist völlig leer. Erst der Wecker, vorsorglich eingestellt für die Frühmaschine nach London, reißt ihn schweißgebadet aus dem Schlaf.

Seltsam, sagt daraufhin ein Kollege und berichtet über seinen Traum: Er schlägt den Terminkalender auf, und der ist randvoll mit Terminen. Ebenfalls schweißgebadet wacht er auf und erkennt frohgemut, daß es Sonntag ist und er noch endlos weiterschlafen kann.

Bedeutungsschwer blicken sich die übrigen Kollegen an, als ob mit diesem Traum ein Gottesurteil über die geringe Belastbarkeit des Mannes gesprochen worden wäre.

Statussymbole haben eben auch diesen Wesenszug: man muß sich ihrer würdig erweisen!

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