Amtsträger: Gott helfe ihnen

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Markus Krah über die künftigen Regierungen in Österreich und Deutschland.

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Markus Krah über die künftigen Regierungen in Österreich und Deutschland.

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Bei den künftigen Regierungen in Österreich und Deutschland werfen die Berliner Personalien interessante Glaubensfragen auf. Mit Karl Nehammer soll ein weiterer Katholik in Wien regieren, doch mit Olaf Scholz steht der erste konfessionslose, ehemals evangelische Politiker vor dem Sprung ins deutsche Kanzleramt. Sein Vize Robert Habeck (Grüne) bezeichnet sich als „säkularer Christ“, der Chef des dritten Partners, Christian Lindner (FDP), war früher katholisch. Und der designierte Agrarminister, Cem Özdemir, wird der erste (nicht-praktizierende) Muslim im Kabinett.

Hinter all dem kann man mehr erkennen als den Bedeutungsverlust der Kirchen, den der Abschied der Pfarrerstochter Angela Merkel symbolisiert. Für moderne religiöse Pluralisierung steht Özdemir, der wichtige Erfahrungen in evangelischen Bildungseinrichtungen sammelte und mit einer Katholikin verheiratet ist. Und ein gemeinsamer Nenner der neuen Vielfalt steckt in Habecks Identität: Eine Prägung durch die Werte und Kultur einer Religion muss nicht mehr einhergehen mit einem Glauben an ihren Gott.

Was hat all das mit dem Judentum zu tun? Eine Identität als säkularer Jude oder säkulare Jüdin ist kein so irritierendes Paradox wie ein säkularer Christ. Das Judentum reibt sich seit mindestens 200 Jahren daran, auf eine Religion reduziert zu werden. Es verstand sich traditionell als umfassende Kultur, die zur Not auch ohne religiösen Glauben Identität prägt. Dagegen ist Glaube das Fundament im Christentum, das sich deshalb dagegen wehrt, auf eine Begründung ethischer Werte reduziert zu werden, die auch Humanisten, säkulare Juden und Muslime teilen. – Regierungsarbeit lässt für solche Glaubensfragen keine Zeit, zumal in Krisenzeiten. Auch wenn Scholz und andere auf die religiöse Beteuerung des Amtseids verzichten: Gott helfe ihnen.

Der Autor lehrt jüdische Religions- und Geistesgeschichte an der Universität Potsdam.

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