Transidentität und Islam
Über die "Heilung" von nichtbinären Menschen - und die Vielfalt der Schöpfung.
Über die "Heilung" von nichtbinären Menschen - und die Vielfalt der Schöpfung.
In den letzten Jahren wurde viel über die Haltung der Religionen zum Thema Homosexualität debattiert. Unabhängig von der sexuellen Orientierung spielt allerdings auch die Frage nach der Geschlechtsidentität eine wichtige Rolle. Darüber wird wenig geredet, weil die meisten von uns eine binäre Geschlechtsidentität (männlich oder weiblich) als die einzig mögliche erachten. Es gibt jedoch Menschen, die sich im Spektrum der Transidentität definieren, sich also außerhalb einer zweitgeteilten Geschlechterordnung befinden. Dies hat nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Daher wird zwischen der geschlechtlichen und der sexuellen Identität unterschieden. Die sexuelle Orientierung von nichtbinären Menschen ist nämlich genauso vielfältig wie die von binären.
Ich wurde zum ersten Mal mit diesem Thema konfrontiert, als eine muslimische Mutter mich vor wenigen Wochen um Hilfe bat. Sie erwartete von mir als muslimischem Theologen, ihre dreizehnjährige Tochter, die sich inzwischen sowohl männlich als auch weiblich identifiziert (man spricht von „genderfluid“), zu „heilen“. Sie ging davon aus, dass nach einem aufklärenden Gespräch, in dem ich der Tochter erzähle, dass Gott uns nur zu Mann oder Frau erschuf, die ganze Diskussion beendet sein würde. Sie war enttäuscht und anfangs überfordert, als sie meine Sicht hörte: Diese Vielfalt in der Schöpfung ist offensichtlich gottgewollt. Und Gott nimmt jeden Menschen bedingungslos an.
Das heißt für uns, dass wir lernen müssen, unsere Mitmenschen so anzunehmen, wie sie sich wohl fühlen, ohne sie in Schablonen hineinzwängen zu wollen. Aber auch die Betroffenen müssen lernen, sich selbst anzunehmen und wertzuschätzen, denn sie sind Zeugen der von Gott gewollten Vielfalt seiner Schöpfung und somit Zeugen der Allmacht Gottes.
Der Autor leitet das Zentrum für Islamische Theologie an der Uni Münster.