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Heinrich Brüning im Exil

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Als eine unmittelbare Fortsetzung der 1970, im Todesjahr Heinrich Brünings, erschienen Memoiren des gewesenen Reichskanzlers stellt jetzt der Verlag die Briefe und Gespräche des Menschen im Exil der Jahre 1934 bis 1945 vor. Aber das Buch ist xin Sprache und Inhalt wohl mehr. Nämlich das beste, was Brüning uns schriftlich hinterlassen hat Eine Erinnerung an ein Deutschland, das es nicht mehr gibt und ein Auftrag, dieses nie zu vergessen.

Der Aufstieg, zu dem sich Brüning in der 1974 von der dva herausgebrachten Stellungnahme zur 1945 eingetretenen Katastrophe Europas emporschwingt, durchmißt einen viel größeren Höhenabstand als die Memoiren. Denn in dem jetzt vorliegenden Band macht die Größe des Kanzlers um das beträchtliche Stück mehr aus, das zwischen seinem höchsten äußeren Rang im Jahre 1932 und seinen Sturz in die Depressionsgebiete liegt, in denen Brüning nachher leben mußte. Brüning deutet ohne Pathos oder Selbstbemitleiduma diese Depressionsgebiete, aber auch seine darin geübte Selbstdisziplin an: Unterm 16. Dezember 1970 stellt der christliche Politiker und Staatsmann fest, die offiziellen Autoritäten der katholischen Kirche in Deutschland seien, mit einer oder zwei Ausnahmen, gegen ihn. Jede öffentliche Stellungnahme Brünings würde — es sei denn außerhalb Deutschlands — vom katholischen Episkopat nicht gut geheißen und abgelehnt werden. Das aber würde die ohnehin große Verwirrung der Masse der Gläubigen noch verstärken. (Seite 328).

Und der gewesene deutsche Reichskanzler und Deutsche im Exil lehnt es 1941 ausdrücklich ab, im Chor derer, die im Rundfunk gegen Deutschland hetzen, mitzuwirken. Solche Emigranten und deren hiesige Freunde haben, so Brüning, eine schlechtere Meinung vom deutschen Volk als alle anderen Nationen. Das deutsche Volk als solches zu schmähen, ist deren einzige Möglichkeit, um im Exil Einfluß zu gewinnen. Zusätzlich zu ihren sonstigen Untugenden haben sie alle einen Größenwahnkomplex (Seite 368).

Ganz entschieden leimte Brüning diverse Experimente zur Gründung einer deutschen Exilregierung ab. Wenn Hitler gestürzt werden soll, schrieb Brüning lange vor dem 20. Juli 1944, dann muß es aus dem Inneren Deutschlands geschehen. Die

Leute, die es unternehmen,. wären die einzigen, die einen gewissen legitimen Anspruch darauf bekämen, eine Übergangsregierung zu bilden, bis so etwas wie eine Nationalversammlung einberufen ist (Seite 336).

Weder größenwahnsinnig noch anti-deutsch wurde Brüning während seiner Emigration, in der er es ausdrücklich vermied, eine fremde Staatsbürgerschaft anzunehmen, um lieber im diskriminierten Status des Angehörigen eines Feindstaates zu leben. Demütig beugt sich der letzte große Führer der katholischen Volksbewegung in Deutschland vor dem Priester Don Sturzo, dessen Los im Kampf gegen Mussolini noch ungleich härter ausfiel. Als Brüning 1941 Don Sturzo im Krankenhaus besuchte, traf er den Mitbegründer des Partito Popolare Italiano nach I8jäh- rigem Exil schwer krank und ermattet; aber ohne Haß, immer abgeklärt und voll Sorge und Liebe für sein Land. Ich acht Monaten hatte um diese Zeit Don Sturzo nur zwei Besucher an seinem Krankenlager, mit denen er, wie mit Brüning, über das reden konnte, was ihm nahelag. An dieser Stelle bricht in Worten durch, was das Bild, das dem Band vorangesetzt ist, sinnfällig macht: Das Bewußtsein um die aussichtlose Lage, in die Brüning geriet und die Frage, wie einsam er wohl selbst sein würde, wenn er erst einmal 18 Jahre im Exil verbracht haben würde. Brüning, der 1941 noch nicht wußte, daß er schließlich ungleich länger als Don Sturzo seiner Heimat fern sein sollte, gesteht sich an dieser Stelle ein, wie leicht es ist, auf dem Schlachtfeld zu sterben.

Zu den 14 Jahren, die Brüning nach 1934 im Exü verbrachte — erst 1948 erlaubten ihm die westlichen Alliierten, nach Deutschland zurückzukehren — kamen noch weitere 13 Jahre hinzu. Jene Jahre, die er nach einer wenig willkommenen und wenig beachteten Lehrtätigkeit in Köln bis zu seinem Tod in den USA Verlebte. Brüning selbst nennt dieses letzte Kapitel seines Lebens keine neuerliche Emigration aus Deutschland. Aber er starb wahrscheinlich lieber in einer fremden Welt als in einer oft bis zur Unkenntlichkeit entstellten Heimat, deren Existenz im Jahr 1945 die Sieger die Sehnen durchgeschnitten haben und die nachher gewiße Typen von Wohlstandsbürgern mit jenem klebrigen Film überzogen, der einer radikalen Linken so gut zupaß kam, um Deutschland womöglich vollends in den Abgrund zu zerren.

Brünings Hinterlassenschaft bringt einer Generation deutscher Katholiken in Österreich noch einmal das Bild eines Deutschland vor Augen, dem in unnennbar glaubenserfüllten Jugendtagen ihre innigsten Gefühle und tätigsten Kräfte mit gegolten haben. Gott war Brüning noch im Tode gnädig: Er ließ ihn einsam in der Fremde sterben, anstatt sein Bild während eines öffentlichen Klamauks untergehen zu lassen, wie jenes Willy Brandts. Dem 1974, in der Tragikomödie seines Sturzes, nicht einmal der Nobelpreis ein kleines jener Noblesse verlieh, aus der Brüning über seinen unablässigen Dienst an Deutschland geschrieben hat.

HEINRICH BRÜNING, BRIEFE UND GESPRÄCHE 1934 — 1945. Deutsche Verla.ffsansta.lt, Stuttgart 1974, 556 Seiten.

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