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HEINRICH BRÜNING / ZWEIMAL VERGEBENS

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Aus einem Brief, der vor fast genau 19 Jahren geschrieben wurde: „Über allem steht für mich die Zusammenarbeit der christlichen Konfessionen, nicht, um andere abzustoßen, sondern um sie mit guten Gründen, verantwortungsvollem sozialem Handeln und opferwilliger Hingabe an das Volk zu gewinnen, so daß antichristliche Schlagwörter wieder verachtet werden.“

Schreiber dieses Briefes ist heute Professor an der Harvard-Universität, ein freundlicher alter Herr, der am 26. November seinen 80. Geburtstag beging: Heinrich Brüning. Einer der Akteure der jüngeren Geschichte, die der unbefangene Zeitungsleser mit dem Ende ihrer Epoche aus der Geschichte ausgetreten wähnt, wie etwa jenen Professor an einer kleinen amerikanischen Universität, der bis zum 11. März 1938 österreichischer Bundeskanzler war...

Heinrich Brüning war Politiker des katholischen „Zentrums“, Reichskanzler von 1930 bis 1932, ein Staatsmann im Schatten des — schei?ibaren — Giganten Hin-denburg und des Nationalsozialismus. Ein Staatsmann, damals verkannt und heute schon vergessen, ein Staatsmann, der — um ein zeitgenössisches Wort zu zitieren — „hundert Meter vor dem Ziel“ gestürzt ist. Der aus dem ersten Krieg heimgekehrte Dr. rer. pol. und Reserveoffizier hatte über Dr. Carl Sonnenschein den Weg in die Politik gefunden, arbeitete in führender Position In der Dachorganisation der christlichen Gewerkschaften und Im Deutsch-Nationalen Handlungsgehilfenverband. Reichstag sabgeordneter, Vorsitzender der Zentrumsfraktion, Kanzler: das waren die markanten Stufen einer politischen Karriere im Nachkriegsdeutschland, einem Land, das von der äußersten Linken wie von der äußersten Rechten gleichermaßen bedroht war, schwer mit der Erfüllung der Reparationen zu kämpfen hatte und überdies dem Druck der Weltwirtschaftskrise immer mehr nachgeben mußte.

Als er sein Amt übernahm, bemerkte er einmal zu einem ausländischen Finanzmann: „Ich weiß, daß ich eine Situation übernehme, die zu 90 Prozent verloren ist.“ Zwei Jahre später hingegen, als er aus dem Amt schied, war seine Aufgabe zu 90 Prozent gelöst: Es war ihm gelungen, die Siegermächte des Weltkrieges zu einem Zahlungsmoratorium zu bewegen, dem später — aber da war er schon nicht mehr Kanzler — der Verzicht auf Reparationszahlungen überhaupt folgte.

Sicherlich, Brüning hatte wäh-rungs- und außenpolitisch nicht immer eine glückliche Hand: Der Zollunionsplan mit Österreich war ungenügend vorbereitet und mußte scheitern. Neue Schwierigkeiten waren die Folge. Trotz allem: Als Brüning gehen mußte, war Deutschland wieder im Begriff, sich einen gleichwertigen Platz unter den Völkern zu sichern.

Noch einmal schien es ihm bestimmt, die Geschicke seiner Heimat entscheidend zu lenken, als er — der 1934 ins Ausland gegangen war — 1944 als Berater für Nachkriegsdeutschland vorgeschlagen wurde. Doch die Gruppe Morgenthau war mächtiger. Brüning, der sich schon bereit gehalten hatte, Roosevelt seine Pläne vorzulegen, reiste wieder ab...

Zweimal also hatte dieser Mann versucht, seinem Land in schwerer Zeit zu helfen, zweimal ohne Erfolg: Diese Tragik liegt über dem Leben des Achtzigjährigen, der heute überzeugt davon ist, daß die Gruppe, die ihn gestürzt hat, den Wiederaufstieg des Reiches nicht mit dem Namen eines katholischen Politikers verbunden wissen wollte. Trotzdem bleibt — um den Historiker Erich Eyck zu zitieren — das Bild eines Staatsmannes, „eindrucksvoll durch seine großen geistigen Gaben, die Reinheit seiner Gesinnung und die Selbstlosigkeit seiner Vaterlandsliebe“.

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