EM 2021: Fußball am Abgrund

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Endlich ist es so weit: Die Fußball-EM wird mit einem Jahr Verspätung angepfiffen. Doch die Begeisterung, die sonst zu solchen Anlässen überschwappt, scheint diesmal gedämpft. Hat das mit der Pandemie zu tun, in der die Menschen ganz andere Sorgen haben – und der Fußball mit Geisterspielen vor leeren Tribünen eine seltsam sterile Aura bekommen hat? Nicht nur. Es hängt wohl auch mit der kritischen Phase zusammen, in die der Weltklassefußball eingetreten ist, geprägt durch Gier, Entwurzelung und Entfremdung. Diese Phase ist ein Paradebeispiel für die Glo­balisierung des „Hyperkapitalismus“, wie sie im wissenschaftlichen Werk von Bruce Alexander beschrieben ist. Die Theorie des Psychologen besagt, dass die expansive Erschließung neuer Märkte gewachsene Zusammenhänge zerstört und Menschen aus traditionellen Bindungen herausreißt, wodurch sie verstärkt für psychische Probleme – vor allem Sucht – anfällig werden (siehe auch FURCHE-Interview) .

Das Leiden an der Entwurzelung war bislang den Fußball­legionären vorbehalten. Bald aber könnten es die Fans sein, die massenhaft entwurzelt werden.

Das Leiden an der Entwurzelung war bislang den Fußballlegionären vorbehalten, die fernab ihrer Heimat von Verein zu Verein pendelten. Diego Maradona, der einstmals beste Spieler der Welt, ist dafür exemplarisch. Das Genie aus einem Armenviertel von Buenos Aires beglückte die Fußballfans in Barcelona und Neapel, ehe sein Stern aufgrund einer tragischen Suchtkarriere vom Himmel fiel. Schon bald aber könnten es die Fans selbst sein, die massenhaft entwurzelt werden. Europä­ische Topklubs haben begonnen, mit TV-Abos und Onlineprodukten neue Einnahmequellen zu erschließen – bei den „Fans der Zukunft“ in China, Indien und sonst wo rund um den Globus. Fußball ent­wickelt sich weg vom „Massensport mit ­Regionsbezug und Fanidentität hin zu einem Entertainmentprodukt mit wöchentlichen Blockbusterspielen“ (Lukas Matzinger). Dass zwölf Spitzenvereine bereits eine neue „Super League“ ins Leben rufen wollten, in der niemand mehr absteigen kann, war ein dreistes Beispiel für ein finanziell gigantomanisches Projekt, das dann doch gescheitert ist – am Widerstand der Fans.

Wie bei einer Sucht scheinen die Verantwortlichen blind zu sein für das, was hier eigentlich auf dem Spiel steht: ein Spektakel, das immer für Überraschungen gut ist und „Underdogs“ eine große Bühne bietet. Die EM könnte zeigen, dass ein Turnier mit Nationalmannschaften genau dafür gut ist. Aber nicht undenkbar, dass der Geist des „Hyperkapitalismus“ auch hier bald die Seele des Spiels bedroht. Spätestens dann, wenn der Kauf von Staatsbürgerschaften (ohnehin schon ein global boomendes Geschäft) den Erfolg garantieren soll.

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