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Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in Ostberlin hat die Agentenwerbung unter deutschen Bundesbürgern, die Verwandte oder Freunde in der DDR besuchen, innerhalb von zwei Jahren vervierfacht. Bei der Anwerbung neuer Spione geht der Staatssicherheitsdienst der DDR jetzt erheblich ungenierter vor als früher. Immer direkter nutzt der DDR-Geheimdienst die menschlichen Bindun- gen zwischen den beiden deutschen Staaten für geheimdienstliche Aktivitäten aus. In der Ostberliner Normannenstraße - dem Hauptquartier des MfS - ersinnt man ständig neue Anwerbungsmethoden, um Bundesbürger auf eine nachrichtendienstliche Tätigkeit festzunageln.

Neuerdings konzentriert sich der DDR-Geheimdienst verstärkt auf junge Menschen, die Aussichten: auf eine Karriere in den Parteien oder Gewerkschaften der Bundesrepublik haben. Die Agentenanwerber der DDR tarnen sich dabei mit Vorliebe als Angehörige von wissenschaftlichen Instituten, Forschungsstellen und ähnlichen Institutionen.

Aber auch andere Personengruppen werden angesprochen. So finden neuerdings bestimmte Berufe, bei denen Nebentätigkeiten üblich sind, das besondere Interesse des Staatssicherheitsdienstes der DDR. Dazu gehören vor allem Ingenieure, Techniker, Unternehmensberater, Wissenschaftler, Juristen, Journalisten, Photographen und Studenten. Bei einer Reise in die DDR sind Personen, die einer der genannten Berufsgruppen angehören, besonders gefährdet. Die Anwerbungsmethoden und Praktiken sind vielfältigster Art.

So werden beispielsweise deutsche Bundesbürger von irgendwelchen staatlichen Organisationen zu bunten Veranstaltungen eingeladen. Speziell ausgebildete SSD-Leute erweisen sich dann als sehr kontaktfreudig. Man will die Gewohnheiten und menschlichen Schwächen der anvisierien Personen näher kennenlernen. Nicht selten werden auch gut aussehende „Damen“ ins Spiel gebracht, und was dann folgt, wird zum Zweck späterer Erpressung photographiert.

Bei den Bemühungen, Bundesbürger als Agenten anzuwerben, versucht der DDR-Geheimdienst aber auch auf brieflichem Wege, erste Kontakte anzuknüpfen. An Stelle der früher üblichen Massenbriefaktionen sind neuerdings Briefe an Einzelpersonen getreten. Solchen Kontaktversuchen sind deutsche Bundesbürger ausgesetzt, die durch ihren Beruf, ihren Arbeitsplatz oder durch andere Umstände Quelle wertvoller Informationen sein könnten. So ist es in letzter Zeit auch zu zahlreichen brieflichen Aabahnungsversuchen auf Gründ von Zeitungsanzeigen gekommen, in denen deutsche Bundesbürger Stellen suchten. In zahlreichen Fällen endeten dann sogenannte Vorstellungsgespräche mit einer nachrichtendienstlichen Verpflichtung.

Eine weitere Anwerbungsform des DDR-Geheimdienstes bilden Preisausschreiben und Meinungstests. Als Firmen getarnt, versuchen Ostberliner Organisationen alle Schichteh der bundesdeutschen Bevölkerung anzusprechen. Die Empfänger der Drucksachen werden aufgefordert, die aus den Bereichen von Politik, Wirtschaft und Geschichte stammenden Fragen zu beantworten. Preise werden in Aussicht gestellt. Großzügigerweise werden auch diejenigen in die Preisverteilung einbezogen, welche die Fragen falsch beantwortet haben. Schließlich geht es dem Staatssicherheitsdienst nicht um richtige Lösungen.

Der DDR-Geheimdienst ist ständig bemüht, seine Spionagestützpunkte in der deutschen Bundesrepublik zu' verstärken, neue „Quellen“ zu erschließen und neue Mitarbeiter anzuwerben.

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