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Kein Weg für die Christen

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Der Katholik Bobby Sands ist tot. Weil er durch einen Hungerstreik die Anerkennung des Status eines politischen Häftlings erzwingen wollte, ist er schließlich gestorben - in England ist Zwangsernährung verboten.

Soweit die wohlbekannten, tragischen Fakten, die bereits in alle Richtungen diskutiert und besprochen worden sind. Aber bisher wurde kaum die Frage gestellt, ob Hungerstreik über seine mögliche Effizienz hinaus überhaupt ein sittlich verantwortbares Mittel zur Erreichung von irgendwelchen Zwecken sei. Darf ein Christ, der dem

Geist Christi treu bleiben will, dieses Mittel einsetzen - die Berechtigung des Zwecks einmal vorausgesetzt -, ja oder nein?

Für eine moraltheologische Prüfung des Hungerstreiks ist vor allem folgende Differenzierung von Wichtigkeit: die Unterscheidung zwischen einem „relativen“ Hungerstreik - dabei wird grundsätzlich nur „gehungert" -, und einem anderen, den man „absolut“ nennen könnte, weil er von vornherein die Entschlossenheit einschließt, auch bis zum Äußersten, bis zum Tod, durchzuhalten. Ein solcher Hungerstreik ist prinzipiell gleich zu bewerten wie etwa der selbstgewählte Feuertod eines Jan Palach.

Freilich wird es im konkreten Leben, in der mit einer Leidenschaftlichkeit (wie sie im Hungerstreik enthalten ist), geführten Auseinandersetzung fließende Übergänge geben; etwa wenn der Hungernde so etwas wie einen „point of no return” erreicht: Ohne es vielleicht gewollt zu haben, verengt sich durch den Hunger sein Bewußtsein, er übersieht sozusagen den Punkt, an dem er noch die psychische und physische Kraft hätte, umzukehren ... Mag sein, daß manche gestorben sind, ohne es wirklich beabsichtigt zu haben.

Aber dann bleibt immer noch die oben gestellte Frage: ist der Hungerstreik - im einen wie im anderen Sinn - ein Weg, den ein Christ in Treue zum Evangelium gehen kann?

Faßt man den „relativen“ Hungerstreik ins Auge, so hängt selbstverständlich alles davon ab, welche Ziele damit durchgesetzt werden sollen und welche Folgen zu befürchten sind. Aber grundsätzlich wird man einem Christen nicht verwehren können, auch dieses dramatische Mittel einzusetzen, um wichtigen Forderungen Gehör zu verschaffen. Mehr noch, in einer bestimmten politischen Situation kann es mögli cherweise von einem Christen gefordert sein, gerade so zu handeln.

Anders steht es beim „absoluten“ Hungerstreik, der den eigenen Tod bewußt ins Auge faßt und als äußerste Konsequenz akzeptiert. Denn hier geht . es um das Verhältnis zum menschlichen Leben überhaupt: Kann es ein Ziel geben, um dessentwillen es dem Christen erlaubt wäre, einen anderen, unschuldigen Menschen zu töten?

Die Tradition der katholischen Kirche weist in dieser Frage von jeher ein klares Nein aus, und zwar mit einer in manchen Fällen fast erschreckenden Konsequenz: Mag es erlaubt sein, einen irgendwie Schuldigen unter besonderen, restriktiv auszulegenden Bedingungen zu töten - niemals ist es dem Menschen erlaubt, an einen Unschuldigen (sich oder einen anderen) Hand anzulegen.

Gott ist der Herr des Lebens. Mag sein, daß manche Fälle schwer zu interpretieren sind; daß manche Situation komplex und vielschichtig und es daher nicht unmittelbar einsichtig ist, wie die Dinge gelagert sind. Aber das ändert nichts an der Grundeinsicht: Nämlich, daß Gott es ist, dem allein es zusteht, einen Menschen abzuberufen; daß er allein weiß, wann die Stunde jedes einzelnen gekommen ist.

Das gilt auch für den „absoluten“ Hungerstreik. Bobby Sands mag guten Gewissens gehandelt haben; er mag nicht gewußt haben, wohin der Weg letztlich führen würde. Ohne ein Urteil über den Menschen Bobby Sands fällen zu wollen, wird man jedoch sagen müssen:

Der Christ kann den Weg des Bobby Sands nicht wählen, wenn er seinem Meister treu bleiben will; ein Hungerstreik, der bewußt den eigenen Tod miteinschließt, ist ein „Weg“, der mit dem anderen Weg in den Spuren Christi nicht vereinbar ist.

Der Verfasser ist Universitätsassistent für Moraltheologie und Kaplan in Wien.

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