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Hungerstreiks sind großer Rückschritt

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Mairead Corrigan {nebenstehendes Bild), gemeinsam mit Betty Williams Friedensnobelpreisträgerin im Jahre 1977 und Führerin der nordirischen „Peace People"-Bewegung, war vor kurzem Gast des Steirischen Katholikentages in Graz. Zuvor hatte sich die sympathische Nordirin aus Belfast auch kurz in Wien aufgehalten. Klaus P. Swoboda nützte die Gelegenheit um mit Mrs. Corrigan für die FURCHE ein Gespräch über die derzeit so verfahrene politische Situation in U Ister zu fuhren.

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Mairead Corrigan {nebenstehendes Bild), gemeinsam mit Betty Williams Friedensnobelpreisträgerin im Jahre 1977 und Führerin der nordirischen „Peace People"-Bewegung, war vor kurzem Gast des Steirischen Katholikentages in Graz. Zuvor hatte sich die sympathische Nordirin aus Belfast auch kurz in Wien aufgehalten. Klaus P. Swoboda nützte die Gelegenheit um mit Mrs. Corrigan für die FURCHE ein Gespräch über die derzeit so verfahrene politische Situation in U Ister zu fuhren.

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FURCHE: Mrs. Corrigan, wie würden sie die Erfolge der nordirischen „Peace People"-Bewegung in den Jahren ihres Beginnes mit dem politischen Einfluß vergleichen, den ihre Bewegung zum heutigen Zeitpunkt hat?

MAIREAD CORRIGAN: Als wir 1976 begannen, marschierten Tausende Menschen für den Frieden, und ein Jahr später konnten wir einen 75prozentigen Rückgang an Gewalttaten in Nordirland verzeichnen. Dann setzten wir unsere tägliche Friedensarbeit fort, indem wir über die Schranken der Religionen hinweggehende „Gemeinschafts-Gruppen" gründeten - mit dem Ziel der Verbreitung der Botschaft der Gewaltlosigkeit sowie der Durchsetzung effektiver gesellschaftlicher und politischer Veränderungen.

Zum heutigen Zeitpunkt geht diese Arbeit nur sehr langsam und unter äußerst schwierigen Verhältnissen weiter. Es ist überaus traurig feststellen zu müssen, daß die gegenwärtigen Hungerstreiks in den Gefängnissen für uns einen gewaltigen Rückschritt bedeuten.

FURCHE: Sehen Sie irgendeinen lo-.gischen Zusammenhang, oder war es ein purer Zufall, daß die nordirischen Gefängnis-Protestaktionen genau zu jenem Zeitpunkt zum Ausbruch kamen, als die von Ihnen geführte Bewegung den Höhepunkt ihrer Bedeutung erreichte?

CORRIGAN: Als 1976 unsere Friedensmärsche begannen, da wäre es für die britische Regierung ebenfalls an der Zeit gewesen zu sagen, daß sie auf den Frieden und die Gerechtigkeit in Nordirland hinarbeiten will. Leider nahm aber die Regierung unsere Friedensmärsche zum Anlaß, den „Political Status" (Status von politischen Gefangenen) ersatzlos aufzuheben und dafür in Nordirland eine Notstandsgesetzgebung einzuführen. Unser Standpunkt lautet daher, daß man den unter diesen Notstandsgesetzen abgeurteilten Gefangenen einen entsprechenden „Emer-gency Status" (Ausnahme- bzw. Notstandsstatus) zuerkennen soll.

FURCHE: Dieser ..Emergency Status" wäre also eine Art Kompromißformel zwischen dem von der Irisch Republikanischen. Armee (I.R.A.) geforderten ..Politischen Status" und dem gegenwärtigen ..Kriminellen Status" der Gefangenen. Glauben Sie. daß dies eine realistische Forderung bt, die sowohl von der Britischen Regierung als auch von der I.R.A. akzeptiert werden könnte?

CORRIGAN: Es wäre nicht nur ein realistischer Weg, sondern auch ein gerechter Weg einer Lösung des Gefangenenproblems. Als der Papst in den Norden Irlands kam, war seine Botschaft an die Gewalttäter ganz einfach - er sagte: „Mord bleibt Mord". Aber seine Botschaft an die Regierung war ebenfalls sehr einfach - er sagte in derselben Rede: „Regierungen dürfen sich nicht über bestehendes Recht und Gesetze hinwegsetzen".

Die britische Regierung hat sich in Nordirland über bestehendes Recht und Gesetze hinweggesetzt: Wir haben heute Notstandsgesetze, Aburteilung durch einen einzigen Richter und ohne Geschworene, oft werden Leute zu vor-gefälschten Geständnissen gezwungen, Polizei und Armee haben weitreichende Gewalt bei Festnahmen und der Verfügung von Verwahrungshaft. Es ist dies ein gänzlich abnormales System.

Wir schlagen daher folgendes vor: Erstens soll die Regierung den Gefangenen einen „Emergency Status" gewähren; zweitens soll sie grundauf von neuem an die Aufgabe einer tiefgreifenden Gefängnisreform herangehen; und drittens soll sie schon jetzt zusichern, daß die Verurteilten nach der Aufhebung der Notstandsgesetzgebung einer neuerlichen, fairen Prozeßverhandlung unterzogen werden.

Slolange die britische Regierung all dies nicht tut, wird jenes Gefühl extremster Ungerechtigkeit bestehen bleiben, das dazu führt, daß die meisten nordirischen Katholiken der I.R.A. ein starkes Mitleid und eine halbherzige Unterstützung entgegenbringen.

FURCHE: Glauben Sie. daß sich die emotionsgeladene Beurteilung des Gefangenenproblems innerhalb Nordirlands von sich aus ändern könnte, daß die Britische Regierung endlich von sich aus zu Reformen schreiten wird? Oder Wirdes notwendig sein, das Problem verstärkt an die Weltöffentlichkeit heranzutragen - vielleicht sogar an die UNO?

CORRIGAN: Innerhalb Nordirlands wird in den Fragen der Gefängnisreform und der Notstandsgesetzgebung wohl kaum jemals ein gemeinsamer Lösungsversuch herbeizuführen sein - zu stark verwurzelt sind da die vielen Ungerechtigkeiten und sozialen Spannungen. Innerhalb der Stadt Belfast fühlt man sich oft wie in zwei verschiedenen Welten: der eine Stadtteil ist gepflegt, wunderschön, jedermann hat einen Job; im anderen Teil der Stadt wütet fast permanent der Bürgerkrieg.

Die Londoner Regierung aber, die sich Weisheit und Mut anmaßt, ein gro-

ßes Volk zu führen, sollte erkennen, daß jegliche Notstandsgesetze die Zahl der Gewalttaten nicht vermindern, sondern vermehren - dies läßt sich statistisch dokumentieren. Auch andere Regierungen und andere Völker könnten einen bestimmten moralischen Druck auf London ausüben, der uns in unserer Sache helfen würde.

Denn das Gefangenenproblem überwuchert derzeit Nordirland wie eine epidemieartige Krankheit - und solange diese nicht geheilt ist, wird die Saat der Gewalt immer weitere Kreise ziehen.

FURCHE: Angenommen. Sie selbst wären etwas älter und Sie hätten einen Sohn im Alter von Bobby Sands. Ihr Sohn ist ein I.R.A.-Aktivist, und er wird für ein Verbrechen - im Falle von Bobby Sands nicht einmal ein besonders schweres - zu einer langjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Daraufhin tritt er in den Hungerstreik, damit ihm ein „Political Status" oder zumindest „Emergency Status" zuerkannt wird. Was würden Sie in Ihrer Situation tun? Würden Sie Ihrem-Sohn raten, seinen Hungerstreik abzubrechen?

CORRIGAN: „I am for life!" - Ich bin für das Leben! Als eine Pazifistin und überzeugte Christin glaube ich, daß uns das Leben von Gott gegeben wurde und daß wir es so freudig und so produktiv leben sollen, wie wir dies kön-

nen. Die wahren Helden für mich sind diejenigen Menschen inNordirland,die inmitten dieser ganzen tragischen Situation versuchen, mit ihrem alltäglichen Lehen zurechtzukommen …

FURCHE: War Bobby Sands für Sie ein Held?

CORRIGAN: Bobby Sands war ein Mann mit einer tiefen Überzeugung, der nach seinem innersten Gewissen handelte und der dachte, mjt seiner Tat anderen Menschen helfen zu können. Es war eine selbstlose Handlung von Bobby Sands, so zu sterben. Er tat dies nach seinem Gewissen, nach seinem Gott; er hat sich einem überaus leidensvollen Tod hingegeben.

Ich denke, es ist oft schwerer, das Leben tagein tagaus in all seinen Härten zu durchleben … Aber was mich so traurig stimmt ist, daß Bobby Sands und seine vier Leidensgefährten überhaupt sterben mußten. Und heute sind schon wieder acht in Hungerstreik!

Wo ich doch glaube, daß das Problem gelöst werden könnte und sie alle nicht sterben müßten - indem man möglichst viele Leute über die Zustände informiert, indem man den Demokratisierungsprozeß vorantreibt, indem man die Botschaft der Gewaltlosigkeit verkündet, und indem man das leidige Gefangenenproblem endlich löst: so daß junge Männer wie Bobby Sands nicht sterben müßten!

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