"Friedenskultur in die Gesellschaft einpflanzen"

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Mairead Corrigan Maguire ist eine der Initiatorinnen der kommenden UNO-Dekade für Frieden und Gewaltfreiheit. Ein Gespräch über diese Dekade, über den Dialog der Religionen, das vatikanische Dokument "Dominus Iesus" sowie über die Friedenschancen in Nordirland.

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Mairead Corrigan Maguire ist eine der Initiatorinnen der kommenden UNO-Dekade für Frieden und Gewaltfreiheit. Ein Gespräch über diese Dekade, über den Dialog der Religionen, das vatikanische Dokument "Dominus Iesus" sowie über die Friedenschancen in Nordirland.

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Die Furche: Sie gehören zu den Proponentinnen der "UNO-Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder dieser Welt". Was soll diese Dekade erreichen?

Mairead Corrigan Maguire: Gedanke dieser Dekade ist, dass die Kultur der Gewalt, die wir überall in der Welt vorfinden, zu einer ganzen neuen Kultur der Gewaltfreiheit verändert werden muss. Ursprünglich war das Ganze die Idee des Franzosen namens Pierre Marchade, der damit zu mir kam. Wir konnten alle lebenden Friedensnobelpreisträger überzeugen, dies zu unterstützen, und warben dann bei der UNO dafür: 1998 proklamierte die UNO-Generalversammlung diese Dekade von 2001 bis 2010. Danach haben wir einen Zehnjahresplan entwickelt: Wir wollen versuchen, Friede und Gewaltfreiheit weltweit auf alle Ebenen der Bildungssysteme zu bringen.

Die Furche: Die Dekade ist für die Kinder. Warum nicht auch für die Großen?

Corrigan: Kinder erfahren überall auf der Welt sehr viel Leid. In einer vernetzten Welt ist es unsere Verantwortung, etwas zu tun, um dem ein Ende zu setzen. Wir können nicht alles Leid beenden, Armut und wirtschaftliche Ungerechtigkeit sind nicht durch Geldspenden zu beseitigen; wir können aber bewusst machen, dass das Leid der Kinder zu bekämpfen ist, und dass wir durch eine Kultur der Gewaltfreiheit dazu beitragen können - etwa durch das Umschichten von Geldmitteln vom Militär zum Gesundheits- oder Erziehungswesen: All dies bedarf einer gemeinsamen Anstrengung.

Die Furche: Es geht also um Bewusstseinsbildung und weniger um konkrete Hilfsprojekte.

Corrigan: Wir bauen ja auf vielem auf, das bereits geschieht und wollen vor allem die großen Bewegungen, die es zum Thema Gewaltfreiheit schon gibt, miteinander verbinden. Gewaltfreiheit, Menschenrechte, Gleichberechtigung von Mann und Frau, wirtschaftliche Gerechtigkeit, Entwicklungs- und Umweltfragen: Dazu gibt es heute weltweit Organisationen und Bewegungen. Wir können all diese zum Thema der Gewaltfreiheit zusammenschließen und durch Vernetzung an wirklichen gesellschaftlichen und politischen Veränderungen arbeiten.

Die Furche: Haben Sie auch Kontakt zu Regierungen?

Corrigan: Viele der Organisationen, die wir erreichen und erreichen wollen, arbeiten mit ihren Regierungen zusammen oder stellen Forderungen an sie: So verlangen einige, Ministerien für Frieden und Gewaltfreiheit zu errichten, um Gewaltfreiheit politisch besser durchsetzen zu können. Wir arbeiten so mit und durch die Regierungen, um die Friedenskultur in die Gesellschaft einzupflanzen. Eine Bewegung, die für mich ein großes Vorbild darstellt, sorgt im Süden Indiens dafür, dass Gewaltfreiheit im Sinne Mahatma Gandhis an den Schulen unterrichtet wird. Ähnliche Beispiele gibt es auch an anderen Orten der Welt, wo Konfliktlösung, Eintreten für Menschenrechte und so weiter auch an Schulen gelehrt und geübt wird. Wir fangen nicht bei Null an. Vor kurzem war ich in San Francisco, wo die Franziskaner ein exzellentes Programm der Friedenserziehung entwickelt haben. Viele katholische Orden und auch protestantische Kirchen lehren dort bereits Frieden und Gewaltlosigkeit.

Die Furche: Welche Rolle spielen die Religionen bei diesem Engagement?

Corrigan: Die großen Religionen kennen von ihren Wurzeln her die ganze Tradition der Gewaltfreiheit. Wenn wir das leben, was unsere Gründer gelehrt haben, können wir viel zu einer Friedenskultur beitragen. Ich bin eine praktizierende Katholikin und habe lange in einer sehr gewalttätigen Situation gelebt. Doch ich weiß sicher, dass Jesus vollkommen gewaltfrei war: Das kann man im Evangelium nachlesen. Für mich ist das Kreuz Jesu eines der größten Symbolen aktiver Gewaltfreiheit. Als Christen müssen wir dieses positives Erbe beim Aufbau der Bewegung für Gewaltfreiheit einbringen. Andere religiöse Traditionen lehren uns ebenfalls eine Menge.

Die Furche: Ist für diese Kultur der Gewaltfreiheit der interreligiöse Dialog notwendig?

Corrigan: Er ist sehr wichtig! Vor zwei Monaten war ich auf einer Konferenz in den USA. Dort gab es eine wunderbare Feier, die von mehreren Glaubenstraditionen gestaltet wurde. Wir sprachen über Frieden, Gewaltfreiheit, wirtschaftliche Entwicklung, Umwelt: Die großen Glaubenstraditionen können zusammenarbeiten und miteinander beten, so wie das der Papst in Assisi getan hat. Wir arbeiten in erster Linie natürlich auf der Basis der eigenen religiösen Tradition, aber wir können respektvoll - und als Gleichgestellte - mit den anderen Traditionen zusammenarbeiten.

Die Furche: Wie gehen Sie als Katholikin dann mit dem Schreiben "Dominus Iesus" um, wo eine solche Gleichstellung der Religionen klar abgelehnt wird?

Corrigan: Ich bin tief enttäuscht über dieses Dokument. Denn der Jesus, an den ich glaube, hat seinen Jüngern die Füße gewaschen; er liebte ohne Bedingungen. Seine Menschlichkeit und sein tiefer Respekt vor jedem Menschen waren unermesslich. Das sind Fähigkeiten, die wir Katholiken brauchen, wenn wir mit anderen Religionen in einen Dialog treten: Sensibilität; absoluter Respekt vor der Freiheit des Gewissens und der Religion des anderen; das Gefühl dafür, einander auf gleicher Stufe zu begegnen. Niemand steht über dem anderen. Für mich ist das Konzilsdokument Gaudium et Spes wichtig, wo es sinngemäß heißt, dass Christus in den Herzen aller Menschen wirkt. Wenn man in einer Situation wie in Nordirland lebt - mit Menschen verschiedener religiöser und christlicher Traditionen - dann müssen absolute Gleichberechtigung und gegenseitiger Respekt zur Grundlage des Dialogs werden. Und Hören auf das, was der andere sagt.

Die Furche: Und in Nordirland: Macht dieser Dialog da Fortschritte?

Corrigan: Ja. Wir haben eine ökumenische Bewegung, wir versuchen den interreligiösen Dialog. Der Heilige Geist arbeitet hier auf eine wunderbare und geheimnisvolle Weise.

Die Furche: Wirkt der Heilige Geist auch in der politischen Situation?

Corrigan: Ja. Wir müssen für vieles dankbar sein: In Nordirland sind wir einen weiten Weg gegangen. Es gab das Karfreitagsabkommen von 1998, wir haben eine Regierung und wir haben eine Menschenrechtskommission. Wir erleben den Beginn der Entwaffnung der paramilitärischen Gruppierungen und auch den Beginn des Rückzugs der britischen Armee aus Nordirland.

Die Furche: Sie erwarten, dass sich die IRA tatsächlich entwaffnen lässt?

Corrigan: Ja. Meiner Meinung nach meint es die IRA sehr ernst. Ich unterstütze den Ersten Minister David Trimble, das Karfreitagsabkommen weiter umzusetzen. Ich rufe auch die paramilitärischen Loyalisten auf, in den Dialog zu treten. Noch liegt eine Menge harter Arbeit vor uns. Aber die Regierung hat begonnen, die Lage zu beruhigen, nun ist der Friede aufzubauen. Das müssen aber die Menschen an der Basis tun: Vertrauen schaffen, Gemeinschaften einander annähern. Wir müssen eine nordirische Identität schaffen, in der wir als Freunde zusammenarbeiten. Es ist sinnlos, weiter eine "ethnische" Politik zu betreiben. Sondern es eine Politik notwendig, die sich mit den sozialen Problemen auseinandersetzt. Wir müssen den Nationalismus und den Unionismus hinter uns lassen, um eine pulsierende, gewaltfreie, echte Demokratie aufzubauen. Ich unterschätze nicht, wie groß diese Herausforderung ist und ich bin auch besorgt: So hat die Firma Ratheon, der zweitgrößte Waffenproduzent der Welt, eine Software-Fabrik für Waffen in Derry, der zweitgrößten Stadt Nordirlands, eröffnet. Es ist tragisch, dass Menschen, die 30 Jahre Gewalt überwinden wollen, nun einen internationalen Waffenkonzern willkommen heißen.

Die Furche: Sind die Fortschritte auch ein Erfolg Ihrer Peace People-Bewegung?

Corrigan: Als wir 1976 mit den Peace People begonnen haben, stand Nordirland am Rande des Bürgerkriegs. Unserer Bewegung gelang es innerhalb von sechs Monaten, die Gewalt um 70 Prozent zu verringern. Wir sind aber eine sehr kleine Bewegung geblieben. Es gab aber in ganz Nordirland viele, die mithalfen, dass das Karfreitagsabkommen zustande kam - Gewerkschaften, kirchliche Gruppierungen, Friedens- und Versöhnungsgruppen ... Ich denke, das kann ein Beispiel für andere sein. Denn tiefe ethnische politische Konflikte nehmen weltweit zu. Was wir in Nordirland erreichen, kann auch anderen Ländern Hoffnung geben.

Zur Person Friedensnobelpreisträgerin 1976 Als am 10. August 1976 in Belfast britische Soldaten, die IRA-Mitglieder verfolgten, drei unbeteiligte Kinder erschossen, ging deren Tante Mairead Corrigan zum lokalen TV-Sender und rief dort zu einem Ende jeder Gewalt auf. Gemeinsam mit der Protestantin Betty Williams organisierte sie Protestmärsche gegen die Gewalt in Nordirland. Die Bewegung "Peace People" erreichte einen Rückgang der Gewalttaten um 70 Prozent. Im gleichen Jahr erhielten Mairead Corrigan und Betty Williams den Friedensnobelpreis.

Anne Maguire, Mutter der drei Kinder und Schwester Maireads, bekam noch zwei weitere Töchter, konnte das Geschehene aber nicht ertragen und schied 1980 aus dem Leben. 1981 heiratete Mairead ihren verwitweten Schwager Jackie Maguire, zwei Söhne entstammen dieser Ehe.

Die frühere Chefsekretärin Mairead Corrigan, die sich im Rahmen der "Legion Mariens" für Strafgefangene und Jugendliche eingesetzt hatte, engagiert sich seit 1976 in Nordirland und weltweit für die Bewegung der Gewaltfreiheit. Sie initiierte die von der UNO proklamierte "Internationale Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltfreiheit für die Kinder dieser Welt 2001-2010" (Infos: www.nobelweb.org), für die sich auch in Österreich ein "Netzwerk für Frieden und Gewaltfreiheit" gebildet hat. (Infos: Internationaler Versöhnungsbund, 1080 Wien, Lederergasse 23/3/27, Tel. 01/408 53 32, Mail: ivb@vip.at)

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