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Kann Friedensliebe die Welt verändern?

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„I have a dream!” - mit diesen Worten führte der amerikanische Bürgerrechtskämpfer Dr. Martin Luther King seine Kampagne für eine bessere, menschenwürdigere Existenz seiner schwarzen Landsleute in den USA. Sein Traum wurde mit einem Friedens-Nobelpreis, sein Wirken mit der Kugel eines Mörders belohnt; der Geist aber, in dem er sprach, und und seine Ideen lebten und arbeiteten weiter, und wenn die Rassenfrage in den USA heute weitgehend entschärft ist, dann wissen wir, wieviel der tatkräftige Traum eines schlichten schwarzen Geistlichen aus den Südstaaten dazu beigetragen hat. Können zwei nicht minder schlichte, nicht minder von einem Traum besessene weiße Frauen aus Belfast ein ähnliches, aber noch viel größeres Wunder für ihre gequälte Heimatprovinz Nordirland vollbringen?

Noch vor wenigen Monaten waren die 33jährige Betty Williams und die um ein Jahr jüngere Mairead Corrigan zwei lebenslustige, unbeschwerte Frauen - so unbeschwert, wie man in diesen Tagen in Belfast eben sein konnte. Die tüchtige Sekretärin Mairead und die tüchtige Hausfrau und Mutter Betty liebten hübsche Kleider, lachten gerne und gingen gerne aus, ganz so wie Millionen attraktiver junger Frauen in aller Welt. Aber eines Tages, am 10. August 1976, trat ihnen der Terror, unter dem ganz Nordirland seit nunmehr sieben Jahren lebt, nackt entgegen. Mairead Corrigans Schwester und deren drei Kinder, eines sechs Wochen, die anderen sechs und acht Jahre alt, wurden auf einem Gehsteig in Belfast von einem Auto niedergeführt, in dem flüchtende Terroristen den Kugeln einer britischen Armeepatrouille zu entkommen versuchten. Alle drei Kinder wurden getötet, die Mutter schwer verletzt.

An jenem Abend konnte man in ganz Großbritannien das schmerzerstarrte Gesicht Mairead Corrigans sehen, als sie einem Femsehreporter mit von Tränen erstickter Stimme sagte: „Wir können nicht so weiterleben. Gewalt und Mord müssen ein Ende fin- den.”Und eine Frau namens Betty Williams, die von der anderen Straßenseite den Schrecken mitangesehen hatte, fühlte sich „von einem furchtba ren Abscheu und gleichzeitig von einem großen Zorn” ergriffen; sie veranstaltete eine Petition unter Nachbarn und Freunden, eine Sammlung von Unterschriften gegen Terror und Mord, die in ihrer Heimat regierten. Und als kurz darauf die beiden Frauen zusammentrafen, da war die Friedensbewegung von Ulster geboren.

„Sieben Jahre lang haben wir das alles ausgehalten. Jedesmal, wenn die Terroristen ein Gebäude in die Luft gesprengt haben, haben wir es wieder aufgebaut. Jedesmal, wenn sie jemanden ermordet haben, haben wir geweint, und dann haben wir unsere Toten begraben. Aber wir können so nicht weitermachen. Wir werden nie eine Zukunft haben, solange wir sie in der Mündung eines Revolvers suchen.” Betty Williams sprach diese Worte auf einer Massenversammlung wenige Tage später im Zentrum Belfasts und vor über 20.000 Menschen - hauptsächlich Frauen, katholisch und protestantisch. Und von da an wurde die Friedensbewegung immer stärker, breitete sich immer weiter aus und begann, gegen den Guerillakampf in Nordirland einen „Guerillafrieden” zu führen. Massenversammlung folgte auf Massenversammlung in Nordirland, Schottland und England, und auch bei ihren Reisen durch europäische Länder und nach den USA konnten die beiden „Friedensfrauen” aufrütteln und mitreißen. Der „Preis des norwegischen Volkes”, den Mairead und Betty im Dezember in Oslo in Empfang nehmen durften und der als Ersatz für den Friedensnobelpreis gedacht war, ist bereits für den Bau eines Gemeinschaftszentrums in Belfast bestimmt

„Wir lehnen politische Meinungsäußerungen in der Form von Kugeln, Bomben und Gewaltmaßnahmen aller Art ab. Wir verschreiben uns der Zusammenarbeit mit unseren Nachbarn, nah und fern, Tag für Tag, um jene friedliche Gesellschaft aufzubauen, in der die Tragödien, die wir miterlebt haben, nur noch eine böse Erinnerung und eine beständige Warnung sein werden.” Sätze wie diese, die von Betty und Mairead auf ihren Kundgebungen immer wieder vorgesprochen und von den Teilnehmern in Sprech-

chören wiederholt werden, stammen aus einem 34 Seiten starken Manifest mit dem Titel „Der Preis des Friedens”, verfaßt von dem jungen irischen Journalisten Ciaran McKeown. Als überzeugter Pazifist und ehemals führendes Mitglied der politischen Bürgerrechtsbewegung von Ulster hatte sich McKeown enttäuscht von dieser Bewegung und von der Politik überhaupt zurückgezogen, bis er sich vom Feuergeist dieser neuen, unpolitischen und nicht-sektiererischen Friedensbewegung angesprochen fühlte. Heute ist er zu ihrem Mentor geworden und hat die Aufgabe übernommen, jene Gefühle der überwältigenden Mehrheit des nordirischen Volkes zu artikulieren und in Worte zu fassen, die Betty Williams seinerzeit als „furchtbaren Abscheu und großen Zorn” gegenüber dem fortgesetzten Terror bezeichnet hatte. In dem Manifest der Friedensbewegung geht Ciaran McKeown von der These aus, daß man nicht die „essentiell imperialistische Frage” stellen dürfe, wie Nordirland zu regieren sei, sondern daß die Frage lauten müsse: Wie kann sich in Nordirland eine stabile Demokratie entwickeln?

Und das Ergebnis von alledem? Die Extremisten von beiden Seiten sehen mit Abscheu auf diese „Guerillakämpfer des Friedens”; die IRA sieht in ihnen bezahlte Lakaien des britischen Imperialismus, den Protestanten sind die Katholikinnen Mairead und Betty schon a priori verdächtig. Die Zahl der Gewaltakte in Nordirland ist seit Gründung der Friedensbewegung kaum geringer geworden, deren beide Führe rinnen sowohl von katholischen wie von protestantischen Fanatikern schon mehrfach angespuckt, geschlagen und mit Steinen beworfen wurden. Betty Williams und Mairead Corrigan wissen, daß ihr Leben an einem dünnen Faden hängt, und beide haben erklärt, auch mit ihrem Leben für ihre Überzeugung eintreten zu wollen. Können unbedingte Hingabe, tiefer und mitreißender Glaube auch heute noch das Antlitz der Welt oder wenigstens einer Provinz verändern? Man muß ganz einfach daran glauben - oder verzweifeln.

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