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An den Raud geshriefer

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MARIAZELL IM BLICKPUNKT. Mit einiger Erleichterung hat die österreichische Öffentlichkeit den einstimmigen Beschluß der Äbte der österreichischen Benediktinerkongregation in Salzburg zur Kenntnis genommen, alles zu unternehmen, damit die notwendige Verstärkung des Mariazeller Priorats durch österreichische Benediktiner und damit der Verbleib des Priorats Mariazell in der österreichischen Benediktinerkongregation gesichert ist. Mariazell wird also nicht in andere Hände übergehen. Diese Genugtuung hat nichts mit engstirnigem Nationalismus zu tun. Das österreichische Nationalheiligtum Mariazell ist seit Jahrhunderten auch für die Völker des Donauraumes und hinauf bis nach Polen ein religiöses Zentrum. Eine ganze Reihe von Vorkommnissen In den letzten Jahren haben gezeigt, dal} in diesen Ländern der innere Kontakt zu Mariazell nicht abgerissen ist und mehrfach wieder neu geknüpft wurde. Eine „Besetzung" Mariazells müßte hier und anderswo zu Fehldeutungen An- lal) geben. Es liegt ganz an uns Österreichern, dafür zu sorgen, dal) im besten Sinne des Wortes unser Gnadenorl für alle zugänglich bleibt, mit besonderer Rücksichtnahme auf die Völker, die seit Jahrhunderten hier geistliche Zuflucht gesucht haben.

SCHWALBENFLUG IM JÄNNER! Der

Ernst, mit dem die Delegationen Österreichs und Italiens in diesen Tagen an die von der UNO offiziell angeordneten Verhandlungen über Südtirol Herangehen wollen, zeigt sich nicht zuletzt im Verzicht beider Seiten auf rhetorische und sachliche Extremforderungen, die das Gespräch von vornherein aussichtslos machen. (Auch diejenigen, die diesseits und jenseits des Brenners aut das Scheitern setzen, aut daf} es im Namen des vieldeutigen Selbstbestimmungsrechtes endlich einmal „krache", haben sich Stillschweigen auferlegt oder auferlegt bekommen.) Was die durch Hinzuziehung der Opposition zur gesamtstaatlichen Repräsentation erweiterte österreichische Delegation verlangen wird und verlangen mul), ist um jeden Preis die rechtliche Verankerung des Autonomiestatuts für die deutschsprachigenteil Bewohner

Südtirols. Auf keinen Fall weniger, aber wohl auqh unter keinen Umständen mehr. Um Worte und Rechtsbezeichnungen wird man nicht streiten. Am Vorabend der Gespräche kam nun eine wirklich Hoffnung versprechende Stimme aus Italien. Der seit Jahren (hüben und drüben kaum bedankt) um eine gerechte Lösung bemühte christdemokratische Abgeordnete Berloffa gab zu verstehen, dal) eine Reihe von fundamentalen Rechten der Südtiroler durch Regierungsvollmacht gegeben werden könnte, ohne dal) man das Parlament mit seiner schwankenden Mehrheit formell einschalten mühte. Von Rechien war die Rede, ja sogar das Wort Autonomie erklang zum erstenmal. Hat Berlofla nur für sich selbst gesprochen? Oder teilen am Ende Seani, Piccioni und die anderen, die unseren Delegierten zu Mailand gegenübersitzen werden, seine Auffassungen? Dies wäre ein Grund zu echter Hoffnung.

VON MANN ZU MANN. „Wir regieren uns gut“, sagte ein großer Schweizer Politiker als Antwort aut das zweifelhafte ausländische Kompliment, dal) „die Schweiz gut regiert wäre”. Etwas von diesem gesunden alemannischen Demokratengeist lebt unzerstörbar auch unter unseren österreichischen Milbürgern vor dem Arlberg. Was sie fun, wollen sie selber beschliefien. Sie haben nicht darauf gewartet, bis ihnen von der Bundeszentrale eine entsprechend errech- nete Quote an der Entwicklungshilfe für Afrika, zu der sich unser Land durch seinen Beitritt zur International Development Association (IDA), einer Tochtergesellschaft der Weltbank zur wirtschaftlichen Hilfe der Entwicklungsstaaten, moralisch verpflichtete, auldividiert wurde. Sie haben im eigenen Landtag und zu eigenen Händen beschlossen, 500.000 S aus den eigenen Taschen bereitzustellen. Und das nicht an einen ominösen Fonds, sondern direkt, von Mensch zu Mensch sozusagen, für den Bau von Arbeiterheimstätten in Daressalam. „Ein Tropfen auf dem heißen Stein", wie der Sprecher der Volkspartei, LAbg. Naumann, offen zugab, aber eben eine menschliche Tal: ohne Befehl, ohne Apparat, ohne anonyme Rechenstellen. Wie man so etwas halt tut als ein Christenmensch.

KRAFTPROBE DER MITTE. Die italienischen Kommunalwahlergebnisse des vergangenen Herbstes zeichneten bereits unerbittlich die Konturen der politischen Entwicklung. Die seit der Rückkehr Fanfanis in die Führungs position kompromißlos auf das Kompromiß bedachten Christlichen Demokraten haben vor ein paar Wochen die erste Kraftprobe mit der Linken innerhalb der eigenen Partei und innerhalb der parlamentarischen Koalition zur Stützung des Kabinetts bestanden. Der Bürgermeister von Rom hat für seine Mehrheitsbasis die Stimmen der äußersten Rechten angenommen, annehmen müssen, da eine andere Mehrheit (ohne die nach wie vor nicht zur Diskussion stehenden Kommunisten) unerreichbar war. Nun verlangt Fanfani dieselbe disziplinierte Beherrschung von seinen rechten Freunden. Der mit den Stimmen der Christdemokraten gewählte Bürgermeister von Mailand Ist ein Saragai-Sozialist. Aber auch die Linkssozialislen Nennls haben zu seiner Mehrheifsbasis beigetragen. (In Florenz wird sich demnächst der Christdemokrat La Pira wohl oder übel auf eine ähnliche Kombination stützen müssen.) Schon Ist das erste dumpfe Unmutsgrollen aus dem Lager der schon einmal zu mutwilligen Tälern der Koalition gewordenen Liberalen zu vernehmen. Und die Mißvergnügten im eigenen Parteilager Fanfanis werden mit ihrer Kritik kaum lange zurückhallen. Aber der „prolessorino" scheint das ein- kalkulierf zu haben. Er vertraut darauf, daß in letzter Konsequenz doch niemand Lust und Mut haben wird, das Land in eine Regierungskrise zu stürzen, die sehr leicht zu einer Staatskrise werden könnte …

DIE BOTSCHAFT KENNEDYS. Außerordentlich, nicht nur in ihrem rhetorischen Glanz, sondern auch In ihrem Inhalt, ist die Rede zum Amtsantritt, die John F. Kennedy am 20. Jänner 1961 hielt. Hinter ihr steht ein globaler Humanismus, der nüchtern sich an die USA-Staatsbürger und die „Weltbürger" wendet. Hier spricht der Präsident der USA alle Menschen an, „die Bürde eines langes Kampfes im Zwielicht auf uns zu nehmen, jahrein und jahraus freudig in der Hoffnung und geduldig in der Wirrnis — einen Kampf gegen die gemeinsamen Feinde des Menschen: Tyrannei, Armut, Krankheit und den Krieg selbst." „Können wir gegen diese Feinde ein großartiges und weltweites Bündnis von Nord und Süd, Ost j nd Wes) jehnpieden, das der ganzen Menschheit ein fruchtbringenderes Leben sichern kann? Wollt ihr an diesem historischen Unterfangen teilhaben? Kennedy bekennt, in keiner anderen Zeit als heute leben zu wollen. „Meine Mitbürger der ganzen Welt: Fragt nicht, was Amerika für euch tun wird, sondern was wir alle für die Freiheit des Menschen tun können. Und schließlich: Ob ihr Bürger Amerikas oder der Welt seid, fordert von uns dasselbe hohe Maß an Stärke und Opfer, das wir von euch fordern werden." Werden wir in Österreich diese Worte hören? Unsere Zukunft wird im realsten Wortsinn mit davon abhängen, ob wir mit dieser Botschaft des Präsidenten der USA und Weltbürgers John F. Kennedy etwas „anzufangen" wissen, oder uns verschließen im ausweglosen Kreislauf des Neides, des Hasses, jenes niederen Gruppen- und Privategoismus, der heute Österreich abschließt von der Zukunft und jener harten und schönen, aufgaben- und opferreichen Gegenwart, in der jenseits unserer Grenzen die Besten unseres Zeitalters sich eingewurzelt haben.

ELIZABETH IN INDIEN. Unter den Klängen „God save the Queen” und dem Donner der Salulgeschütze haben Millionen Inder die englische Königin bei ihrem Einzug in Delhi empfangen. Die einstige britische Kolonie ehrt in der Königin das Oberhaupt des Commonwealth. Wenn Elizabeth viereinhalb Jahre früher den britischen Thron bestiegen hätte, wäre sie noch Kaiserin von Indien geworden. Das Ist ein sehr nachdenkenswertes Schauspiel: nach Jahrzehnten des Hasses, der Unruhen und großer Bitterkeit wurde in Indien die große Feindschaft über Nacht fast in Freundschaft verwandelt. Am 7. August 1942 forderte Gandhi die Engländer auf: „Quit India!” Verlaßt Indien. Wenige Wochen später saßen mehr als 100.000 Inder In Halt, dazu die gesamte Führung der Kongreßpartei, es gab mehr als tausend Tole. Am 15. August 1947 wurde Indien frei. Indien blieb aber als Republik Mitglied des Commonwealth. Heute leben mehr Engländer in Indien als je zuvor. Indiens Führungsschichl studiert in Oxlord und Cambridge. Sehen wir für einen Augenblick dies zusammen: Algerien und Frankreich, Afrika und die Weißen, und eben dies: die neue Partnerschaft Indiens und Englands, das Produkt großer sfaatsmännischer Weisheit auf beiden Seiten.

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