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Terror, Gegenterror und Ordnungsmacht

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Seit 1968 bricht der Terror immer wieder in Wellen über Nordirland herein - gerade auch in diesem Herbst. Die Angst um Leben und Gesundheit ist lebendiger denn je.

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Seit 1968 bricht der Terror immer wieder in Wellen über Nordirland herein - gerade auch in diesem Herbst. Die Angst um Leben und Gesundheit ist lebendiger denn je.

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In Nordirland ist es nicht anders als in anderen Ländern der Welt, in denen der Terror wütet: Opfer der Gewalt sind zumeist Unschuldige, die keineswegs mit den paramilitärischen Truppen auf der einen oder anderen Seite sympathisieren. Ordnungskräfte und Angehörige der freiwilligen Mil- liz UDR (Ulster Defence Regiment) stehen im Fadenkreuz der IRA-Gewalttäter.

Der brutale Mord am protestantischen Politiker Robert Bradford vor einigen Wochen war auslö-

sendes Momertt für einen Rachefeldzug der Protestanten. Diese Art Gegenterror ist in Nordirland geradezu schon eine natürliche Reaktion - von der IRA-Terrori- sten bewußt heraufbeschworen. Haß erzeugt wieder Haß und verstockte interkonfessionelle

Feindschaft verwehrt Vernunft und Einsicht.

Wenn die Regierung nicht in der Lage ist, das Leben der Protestanten ausreichend zu schützen, so argumentieren die Ulster-Protestanten, dann ist bewaffneter Selbstschutz der einzige Ausweg. Damit ist der Haß und Unversöhnlichkeit predigende Gottesdiener Ian Paisley in seinem Element. Er ist Mitschöpfer der sogenannten „Dritten Kraft“, läßt seine Paras mit Masken vor dem Gesicht, Gewehren und Prügeln in Händen am Schluß des Tages der Aktion aufmarschieren, inspi

ziert diese irregulären Truppen, wie ein Feldherr seine Rekruten defilieren läßt.

Nicht zum erstenmal spielt Paisley den Führer selbst aufgestellter Privatarmeen, niemals tat er dies jedoch so offen. Es liegt etwas Unheimliches und Drohendes in seiner Ankündigung, die Provinz „unregierbar“ zu machen, das heißt die rechtlichen Befugnisse der Regierung zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung zu torpedieren. Die Demonstration ist Teil seiner Strategie, sich selbst zum Machthaber und Regenten der Protestanten aufzuschwingen.

Vor diesem Gedanken wird den offiziellen Unionisten um James Molyneaux bange. Wie sieht der nächste Schritt aus: Eskalation an den Rand des Bürgerkrieges? Gesetzlosigkeit und Anarchie?

In diese Richtung gehen die Gedankengänge von Terroristen und protestantischen Militanten. Die IRA nennt sich nationalistisch, doch zerstört sie diese Nation, die sie vereinen möchte. Paisley und Gleichgesinnte nennen sich Loyalisten, doch sie unterminieren die Ordnungsmacht jenes Landes, dem sie angeblich so loyal ergeben sind.

Paisley höchstpersönlich verspottet in einer schauerlichen Groteske jenes Parlament, in dem er einen Sitz inne hat. Seine Drohung ist unverholen und dabei nützt er brutal die Anhänglichkeit seiner Gefolgsleute aus.

Die katholische Kirche verurteilt mit größtem Nachdruck und dem stärksten Mittel, das ihr zur Verfügung steht: Der Exkommu

nikation für Terroristen. Reichlich spät. Hätten die Vertreter der Kirche vor zehn Jahren so pronon- ciert gesprochen, wie dies heute Kardinal Thomas O’Fiach und Bischof Edward Daly von Derry tun, dann stünde es heute vermutlich besser.

In der Gegenwart allerdings zerbricht die Botschaft der Liebe an der Verstocktheit und am Rausch der Gewalt. Die IRA ist nach dem Hungerstreik stärker und selbstbewußter denn je: Die Zeit der Aktion im Maze-Gefäng- nis von Belfast ist bestens genutzt, wie sich jetzt erweist: Neue Rekruten auf den Inseln, finanzi

eile Unterstützung aus den USA, Waffen aus Europa und das tödliche Know-how von Terroristen aus dem Nahen Osten.

Terror provoziert die Gegenwirkung, liefert Paisley das Argument für die Aktion. Er verheißt nichts Gutes: eine neue Epoche der Geschichte sei angebrochen. Die Aufgabe, in diesem Hexenkessel von Ulster die Ordnung herzustellen, ist für den neuen Mann Thatchers in der unruhigen Provinz, Jim Prior, schier unlösbar.

Doch Prior, der sich durch die sachte und vorsichtige Annähe-

rung an die britischen Gewerkschaften das Wohlwollen seiner Chefin verscherzt hat, greift in Ulster hart durch. Die Sicherheitskräfte sind verstärkt, es sei nicht Sache von Privatarmeen, das Recht durchzusetzen, hält er beiden Seiten entgegen. Paisley scheint sich nicht viel daraus zu machen. Und die IRA hört am allerwenigsten auf Westminster.

Sicherheit ist das erste Gebot. In dieser Hinsicht hat Prior Erfolge aufzuzeigen. Eine Reihe von Terroristen ist hinter Schloß und Riegel gesetzt. Waffenlager an der republikanischen Seite der Grenze sind aufgespürt. Dies mit Hilfe von Informanten, die durch Denunziation Straffreiheit erwirken wollen, sich aber dadurch der Gefahr aussetzen, daß an ihnen das von der IRA für Verräter angekündigte Todesurteil vollstreckt wird. Das weist der Ordnungsmacht den Weg.

Damit sind allerdings die anderen Initiativen, auf lange Sicht gerichtet und zur Zeit ohne Hoffnung auf Erfolg, nicht aus dem Auge verloren. Westminster beeilt sich zu betonen, daß die Vereinigung des geteilten Landes niemals über die Köpfe der Protestanten Zustandekommen würde. Doch dieses Gelöbnis und jegliche Fühlungnahme zwischen Dublin und London ruft nur den nahezu pathologischen Argwohn der Loyalisten ohne Loyalität hervor.

Die Zukunft liegt auf der Linie, wie der gemeinsame angloirische Rat geschaffen worden ist. Irlands Premier Fitzgerald baut in seinem Konstitutionsentwurf alte konfessionelle Hindernisse für Protestanten ab, ein Versuch, der im Augenblick und unter den gegebenen Umständen eher illusionär erscheint, aber in langer Frist wirksam sein kann.

Wann die Vernunft über den konfessionellen Haß den Sieg davonträgt, wann Fanatiker vom Schlage eines Paisley von der Bildfläche verschwinden, das läßt sich im Angesicht immer neuer Gewalt nicht ermessen. Fest steht nur eins: Wenn die Hoffnung aufgegeben wird, dann ist alles verloren.

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