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Wie im Alten Testament
Die Tragödie von Birmingham, bei der am 21. November durch Barnben- explosionen 19 Menschen getötet wurden — ein weiterer Mann ist inzwischen im Krankenhaus seinen Verletzungen erlegen — hat die britische Regierung wieder einen Schritt näher zur Akzeptierung der Tatsache gebracht, daß sich das Land de facto in einem offenen Kriegszustand mit der IRA, der Irish Repu- blican Army, befindet. Mit einer für Regierungen ungewöhnlichen Entschlußkraft hat der britische Innenminister Roy Jenkins einen Anti- Terraristen-Gesetzesantrag ednge- bracht, der mit einer für Parlamentarier ungewöhnlichen Eile innerhalb weniger Tage von beiden Häusern des britischen Parlaments bestätigt wurde. Die damit zum Gesetz gewordenen Maßnahmen zur Bekämpfung des IRA-Terrors hat Roy Jenkins selbst als drakonisch bezeichnet, als die radikalsten, die jemals zu „Friedenszeiten“ in Großbritannien getroffen worden seien.
Das neue Gesetz, durch das man jetzt der fünfjährigen Terrorkampagne der IRA in Nordirland und in England Einhalt zu gebieten hofft hat verschiedene Aspekte. Die IRA, in der Irischen Republik schon lange illegal, wird nun offiziell auch in Großbritannien verboten, und Mitglieder oder finanzielle Förderer der Organisation können mit Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren belegt werden; das Tragen von Uniformstücken oder IRA-Armlbinden — oft zu Propagandazwecken getan —
wird ebenfalls schwere Strafen nach sich ziehen, genauso wie jede öffentliche Sympathiebekundung für die IRA. Der Reiseverkehr zwischen Irland und Großbritannien wird rigorosen Kontrollen unterzogen, und die Polizei wird neue Vollmachten für Durchsuchung und Verhör verdächtiger Reisender auf dem Weg von oder nach Irland erhalten. Zu diesen Vollmachten gehört auch die Verweigerung der Einreise nach Großbritannien, die Ausweisung unerwünschter Personen aus Großbritannien nach Nordiriiand, ferner Verhaftungen ohne Haftbefehl und die Möglichkeit, verhaftete Personen bis zu einer Woche lang ohne offizielle Anklageerhebung festhalten zu können.
Für die Briten, mit ihrem stark entwickelten Sinn für Demokratie und individuelle Freiheit, sind diese Maßnahmen wirklich von erstaunlicher Härte, wenn man sie auch in anderen Breiten, wo man längere unc traurigere Erfahrungen mit Gueril- leros hat, als recht milde betrachten würde. Was das britische Verbot der IRA betrifft, so ist damit höchstens eine offensichtliche Anomalie beseitigt worden, wodurch unter anderem verhindert werden soll, daß tote Mörder der IRA feierliche Heldenbegräbnisse mit Gesang, Musik und Paraden erhalten. Auch die anderen Maßnahmen sind bereits auf Kritik gestoßen, vor allem die Ausweisung Verdächtiger nach Nordirland; nordirische Politiker haben mit einem gewissen Recht darauf hingewiesen,
daß Ihre Provinz dadurch zu einer Art von „Teufelsinsel“ erklärt wird, zu einem Ghetto für Terroristen.
Völlig unbeeindruckt von den „drakonischen" Bestimmungen zeigen sich vor allem diejenigen, gegen die sie gerichtet sind. Ein Sprecher der IRA hat bereits erklärt, das Verbot seiner Organisation mit demselben Gleichmut hinnehmen zu wollen wie jenes, das schon seit langem in der Irischen Republik besteht und das die Tätigkeit der IRA bisher in keiner Weise eingeschränkt hat. Und wie zum Hohn schlugen die Terroristen sofort wieder zu, diesmal im Herzen der britischen Hauptstadt. Am Piccadllly-Circus und bei den Bahnhöfen Victoria und Kings-Cross explodierten, 5 Tage nach Birmingham, drei Bomben, die in den runden englischen Briefisäulan versteckt waren. Die Explosionen, bei denen über 20 Menschen verletzt wurden, ereigneten sich kaum drei Stunden nach Ankündigung des neuen Anti- Terroristen-Gesetzes durch Innenminister Jenkins. Und zwei Tage später explodierten im eleganten Londoner Stadtteil Chelsea zwei weitere Bomben am selben Ort kurz hintereinander; zu den hier Verletzten gehörten vier Polizisten, die nach der ersten Explosion zum Tatort geeilt waren.
Es ist daher kaum verwunderlich, daß sich immer mehr Stimmen finden, die angesichts dieses blindwütigen Terrors das Gesetz von Innenminister Jenkins nicht für ausreichend halten und die Wiedereinführung der Todesstrafe für Mordanschläge dieser Art fordern. Vor allem in der Konservativen Partei wird diese Forderung immer lauter, und an die 100 Tary-Abgeordnete wollen einen diesbezüglichen Zusatz zum Anti-Terroristen-Gesetz durch drücken. Die Unterhausdebatte dar über wird noch vor Weihnachten staitffinden.
Aber ist der Strick des Henkers wirklich die Waffe gegen die Bombe des Terroristen, ist das Schafott tatsächlich die letzte Antwort des Rechtsstaates auf amoralischen Fanatismus? Als die Todesstrafe in Großbritannien dm Jahre 1970 nach einer fünfjährigen Probezeit endgültig amgeschafft wurde — in der Provinz Nordirland geschah dies übrigens erst im Mai des vorigen Jahres — war man sich darüber klar, daß auch eine drohende Hinrichtung keine abschreckende Wirkung auf irregeleitete Fanatiker hat, daß dadurch nach guter irischer Tradition lediglich Märtyrer geschaffen würden, und daß es gerade der alttestamentarische Grundsatz „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ war, durch den das Morden in Nordirland immer neue Nahrung eihält.
Diese Argumente sind seither um nichts schlechter geworden, und es ist anzunehmen, daß der bewährte britische „common semse“ sich ihnen auch diesmal wieder anschließen wird — allen Provokationen zum Trotz. Die Lösung des Nordirland- Problems kann nicht in seinen brutalen Symptomen gesucht werden, sondern in seiner Wurzel, und die liegt auf der Grünen Insel und bei ihren Menschen, die, und das darf bei allem Schrecken nie vergessen werden, in ihrer überwältigenden Mehrheit nichts anderes wollen als im Frieden leben.
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